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Schwierige Vergangenheit: Hans-Jürgen Scharfenberg setzt sich mit Kritikern seiner OB-Kandidatur auseinander, zuletzt etwa beim Sommerfest der Linken.

© M. Thomas

Von Henri Kramer: Scharfenberg wäre einmalig

Bisher regiert deutschlandweit nirgendwo ein Oberbürgermeister mit bekannter Stasi-Vergangenheit

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Sollte Linke-Kandidat Hans-Jürgen Scharfenberg bei der Wahl am Sonntag oder in einer folgenden Stichwahl zum Potsdamer Stadtoberhaupt gewählt werden, wäre er der erste Oberbürgermeister in Deutschland überhaupt mit einer bekannten Vergangenheit als Stasi-Spitzel. Das haben PNN-Recherchen ergeben.

„Oberbürgermeister“ ist die Amtsbezeichnung für die 291 Verwaltungschefs größerer Städte in Deutschland. Dass seit 1990 jemals ein Kandidat mit einer Vita als ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit auf einen solchen Posten gewählt worden ist, sei ihnen nicht bekannt, sagen Experten des Deutsche Städte- und Gemeindebunds (DSGB). „Mir ist bisher kein solcher Fall bekannt“, so Franz-Reinhard Habbel, seit Jahren DSGB-Sprecher. Auch die Sprecher der Städteverbände der einzelnen Bundesländer bestätigten den PNN, dass es eine solche Wahlentscheidung bisher nicht gegeben habe. Ebenso kann sich niemand in der Pressestelle der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin an die Wahl eines ehemaligen Stasi-Spitzels zum Oberbürgermeister einer Stadt erinnern.

Scharfenberg wurde von der Staatssicherheit zwischen 1978 und 1986 als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) geführt. In seiner Akte finden sich Dutzende Berichte über Kollegen an der Akademie für Staat und Recht in Babelsberg sowie Bekannte und Nachbarn. Im vergangenen Frühjahr hatte er sich zur Kandidatur entschlossen – das zweite Mal nach 2002. Scharfenberg gilt als aussichtsreichster Herausforderer von Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD), vor acht Jahren hatte er gegen ihn knapp mit 122 Stimmen Unterschied verloren.

Fakt ist auch: Kandidaten für das Oberbürgermeisteramt mit Stasi-Vergangenheit sind in anderen Städten in der Vergangenheit stets gescheitert. So unterlag 2002 der frühere Stasi-Knast-Wächter Axel Henschke (Linke) in Frankfurt (Oder) mit sechs Prozent Unterschied gegen einen CDU-Kontrahenten. In Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern verlor 2001 Henschkes Parteifreund Torsten Koplin – bei der Stasi als IM „Martin“ geführt – in einer Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt. Auch Koplin musste sich einem Christdemokraten geschlagen geben. Allerdings hat die CDU auch den amtierenden Oberbürgermeister von Stendal, Klaus Schmotz, nominiert – einen ehemaligen DDR-Grenzoffizier. In Potsdam unterlag 1993 der früher als IM „Rolf“ firmierende Rolf Kutzmutz (Linke) dem SPD-Oberbürgermeister Horst Gramlich in einer Stichwahl.

Allerdings gab es in Deutschland schon mehrere Fälle, in denen ehemalige IM zum Bürgermeister von kleineren Gemeinden gewählt wurden. „Das sächsische Oberverwaltungsgericht hat zuletzt im Januar 2008 die Gültigkeit einer solchen Bürgermeisterwahl bestätigt, obwohl das Beamtengesetz bei uns eine Regelung enthält, wonach ehemalige Stasi-Mitarbeiter grundsätzlich nicht in ein Beamtenverhältnis berufen werden dürfen“, sagt Falk Gruber, Referent im Städte- und Gemeindetag Sachsens. Konkret ging es um den damals 53-jährigen Christoph Fröse (parteilos), der zum Bürgermeister der 10 000-Seelen-Gemeinde Bannewitz gewählt worden war. Der zuständige Landkreis hatte ihm wegen seiner Stasi-Verstrickungen versagt, sein Amt anzutreten. Im Land Brandenburg ist aktuell Linken-Politikerin Gerlinde Stobrawa, früher: IM „Marisa“, Bürgermeisterin von Bad Saarow.

Die Partei Die Linke stellt in Deutschland aktuell drei Oberbürgermeister: im sächsischen Borna, im thüringischen Halberstadt und in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin. Dort besetzt die frühere FDJ-Sekretärin, Diplomökonomin und Ex-SED-Mitglied Angelika Gramkow seit 2008 das höchste Amt der Stadt.

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