
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Schick in Strick
Fachhochschulstudenten wollen die Stadt bunter machen, indem sie die Treppe zum Hotel Mercure verkleiden. Potsdamer können helfen und Stoffstücke beisteuern
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Es ist eine zugige Ecke. Die Kurve am nördlichen Ende der Langen Brücke, wo sich die Straße zwischen neuem Landtag und Hotel Mercure hindurchschlängelt, bietet keine Aufenthaltsqualität. „Hier wollen alle schnell vorbei, Pendler, Potsdamer und Touristen“, sagt Amelie Wägele. Auch viele Studenten wie sie selbst sind hier regelmäßig mit Tram, Auto, Rad oder zu Fuß unterwegs. Jetzt soll ein Projekt von vier Studenten der Kulturarbeit dem Ort im wahrsten Wortsinn Kolorit verleihen. Die Projektgruppe „Take part. Make art“, zu deutsch: „Mach mit, mach Kunst“, organisiert derzeit eine Kunstaktion, bei der das Geländer des Treppenaufgangs zum Hotel bunt werden soll.
Mitmachen kann und soll jeder, sagen die Organisatoren. Am Nachmittag des 9. Oktober sollen die Handläufe der geschwungenen Treppe, ein unscheinbares, grau-weißes Betonkonstrukt, mit Stoffen verkleidet werden. Aus vielen kleineren Strick- oder Häkelstücken wird ein bunter Patchworküberzug zusammengenäht, der dann einige Zeit am Geländer verbleiben soll. Die Studenten hoffen, dass möglichst viele sich beteiligen und Stoffstücke dafür herstellen werden. Das Mindestmaß sollte 20 mal 50 Zentimeter betragen, und wer es nicht schafft, die Stücke am 9. Oktober persönlich vorbeizubringen, kann sie vorab im Garnatelier in der Benkertstraße abgeben. Auch in dem Handarbeitsladen wird bereits kräftig für das Projekt geworben, ebenso wie in Zeitungen und im Internet.
Wie so ein umfassendes Projektmanagement funktioniert, das sollen die Studenten im dritten Semester Kulturarbeit dadurch lernen. Dazu gehörte auch die Anfrage beim Hotelmanagement, ob sie das Geländer überhaupt umstricken dürfen. Zunächst hatten sie es auf das Geländer der Langen Brücke abgesehen, doch das Ordnungsamt der Stadt gab dazu keine Genehmigung. Als Grund habe die Stadt versicherungstechnische Probleme angegeben: Auf der Brücke liegen noch einige Jahre Gewährleistung, aber nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, sagen die Organisatoren. Eine Häkeldeckenumwicklung gehöre wohl nicht dazu. Der alternative Ort Hotel Mercure war schnell gefunden, innerhalb von 30 Minuten kam die Zusage vom Hoteldirektor: „Wir unterstützen gerne Kunstprojekte und sind für jeden Spaß zu haben“, so Marco Wesolowski.
Dass sie jetzt das neue Landtagsgebäude gegenüber haben, sei ein schöner Nebeneffekt. „Dort der superschicke Landtag und wir machen hier Handarbeit – das ist ein Kontrast“, sagt Caro Stiller. Die Strickaktion sei Urban Art – städtische Kunst –, an der sich jedermann beteiligen könne. In Potsdam finde man zwar ein breites Kunstangebot, allerdings kaum sogenannte Streetart. Vor einigen Jahren umhäkelte eine Frau die Bäume der Hegelallee, machte daraus eine Häkelallee. Am Treffpunkt Freizeit sind gegenwärtig einige Säulen am Haupteingang in Strick gehüllt. In Berlin, so Caro Stiller, die wie viele Mitstudenten aus der Haupstadt nach Potsdam pendelt, sei das anderes. Sie hat schon eine Gartenbank umhäkelt, und Amelie Wägele hat Laternenpfähle umstrickt – der Klassiker in dieser Szene, sagt sie. Legal betrete man hier sicherlich eine Grauzone, aber in der Regel störe sich niemand daran. Und sollte es nach Monaten unansehnlich werden, werde alles entfernt.
Letztlich gehe es darum, bei den Bewohnern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie selbst Teil der Stadt und somit der Kunstszene sind. Dass Einmischung lohnt und Spaß macht. Außerdem seien Handarbeiten wieder angesagt, so die Erfahrung der Studentinnen. Mittlerweile gebe es praktische Komplettpakete mit allem, was man beispielsweise für eine Strickmütze braucht. Caro Stiller hat von ihrer Mutter stricken gelernt, jetzt holt sie gern in der S-Bahn Wolle und Nadeln heraus und werde häufig von älteren Frauen erfreut dazu angesprochen.
Auch Hotelchef Wesolowski hat bereits Tochter und Schwiegermutter motiviert, mitzustricken. Das Hotel unterstütze die Akteure am 9. Oktober außerdem mit Heißgetränken, sollte es schlechtes Wetter geben. Wie lange die Treppe verkleidet bleibt, sei noch offen. Aber „Take part, make art“ soll weiter bestehen. Als Beispiel dafür, was aus Seminararbeiten werden kann, nennt Amelie Wägele die Initiative Kultür, ebenfalls einst ein Studentenprojekt, die erfolgreich Eintrittskarten für kulturelle Veranstaltungen an sozial Bedürftige vermittelt. „Man wird auch von uns noch hören“, sagt sie.
Stoffe abgeben im Garnatelier, Benkertstr. 11, Kunstaktion am Hotel Mercure am 9. 10., 14.30 bis circa 17.30 Uhr.
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