Landeshauptstadt: Schießbefehl und Schikane
Film über DDR-Grenzer hinterließ großen Eindruck bei Helmholtz-Schülern
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„Hätten Sie denn auch geschossen?“ Die jungen Besucher im Saal des Waschhauses hatten gestern eine Menge Fragen an Drehbuchautor Stefan Kolditz, nachdem die erste Scheu überwunden war. Vorher hatten sie sich seinen Fernsehfilm „An die Grenze“ in der Matinee angeschaut. Dazu hatte Ulrike Poppe Schülerinnen und Schüler aus Potsdam und Umgebung eingeladen. Sie ist die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. In knapp zwei Monaten jährt sich der Tag des Mauerbaus zum 50. Mal. Das Thema soll so an Jugendliche herangebracht werden. Gekommen waren drei neunte Klassen vom Potsdamer Helmholtz-Gymnasium.
Bevor der Film losging, herrschte bei einigen noch Unklarheit: „Geht es da jetzt um den Zweiten Weltkrieg?“, konnte man in einer vorderen Reihe tuscheln hören. Ging es nicht. Es ging um die DDR, die Grenze und die Soldaten, die sie bewachen mussten. Dann lieferte der Film erstmal reichlich Input: Er erzählt die Geschichte des 19-jährigen Alex, der in den 70er Jahren zu den Grenztruppen der DDR eingezogen wird. Dort erlebt er autoritäre Vorgesetzte und wird von älteren Soldaten gequält. Er sieht mehrere Tote. Und er muss sich immer wieder die Frage stellen, ob er auf einen Menschen schießen würde, der versucht in den Westen zu fliehen. Wer nicht schießt, kommt in den Knast, heißt es. Am Ende muss er sich entscheiden – und schießt nicht.
„Sind Sie auch mal in so eine Situation gekommen?“, wollte dann der 15-jährige Simon Grzegorzewski von Stefan Kolditz wissen, denn der Autor war selbst ein „Grenzer“. Selbst sei ihm das nie passiert, so Kolditz, aber damals habe er gemeint, schießen zu müssen – auf die Beine. Das Dilemma für einen jungen Menschen in jener Zeit, einen anderen verletzen zu müssen, die Angst vor dem Gefängnis, wenn man es nicht tut und der Druck durch Vorgesetzte – all das scheint heute kaum noch vorstellbar. „Deshalb fanden wir den Film sehr gut. Weil er eine andere Sicht zeigt“, sagten auch Ludwig Schatz und Tim Krüger vom Helmholtz-Gymnasium. Sie kannten schon Dokumentationen über Flüchtlinge an der Mauer, von den Soldaten wussten sie bis dahin noch nicht viel.
„Am bedrückendsten war diese viele Gewalt auch unter den Soldaten“, beschrieben Chiara Schreckenbach und Malaika Möller ihre Eindrücke vom Film. Gemeint sind damit die sogenannten Entlassungskandidaten, Soldaten kurz vor dem Ende ihrer Dienstzeit, die den Neueingezogenen den Alltag zur Hölle machen. Geduldet von den Vorgesetzten.
Laut Kolditz habe er die Handlung da etwas verdichtet. Bei den Grenztruppen sei es im Gegensatz zur restlichen Armee weniger gewalttätig zugegangen. „Wenn man mit jemandem nachts auf Streife geht, der eine Kalaschnikow mit 60 Schuss scharfer Munition herumträgt, dann will man ja nicht, dass der durchdreht“, räumte Kolditz ein.
Die im Film gezeigte Flucht, bei der zwei Grenzsoldaten erschossen wurden, bezog sich jedoch auf ein wahres Ereignis, bei dem Kolditz selbst in der Nähe war. Der Soldat Werner Weinhold war 1975 mit seiner Waffe von der Nationalen Volksarmee getürmt und in den Westen geflohen. Dabei hatte er zwei andere Soldaten erschossen. Später wurde er dafür in der Bundesrepublik zu einer Haftstrafe verurteilt.
Damit es nicht ausschließlich bedrückend wirkt, gehörte natürlich auch eine Liebesgeschichte zum Film und jede Menge Witze über die DDR. Angesichts dessen wollte die 15-jährige Ela-Marie Akay dann noch wissen, wie viele von den Soldaten denn damals überzeugt gewesen wären, das Richtige zu tun. „Die wenigsten“, meinte Kolditz. Allerdings sei es damals nicht darauf angekommen. „Die jungen Männer wurden eingezogen. Es gab eine Wehrpflicht. Und dann haben sie dich irgendwo hingeschickt.“
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