zum Hauptinhalt

INTERVIEW MIT JENS GIESEKE VOM ZENTRUM FÜR ZEITHISTORISCHE FORSCHUNG: „Schlussstein für den Sieg der Demokratie“

Herr Gieseke, das Potsdamer Abstimmungsverhalten bei der Volkskammerwahl stellt das Ergebnis in der DDR komplett auf den Kopf. Der große Wahlsieger, die CDU, erreichte hier nur etwas mehr als 18 Prozent.

Stand:

Herr Gieseke, das Potsdamer Abstimmungsverhalten bei der Volkskammerwahl stellt das Ergebnis in der DDR komplett auf den Kopf. Der große Wahlsieger, die CDU, erreichte hier nur etwas mehr als 18 Prozent. Man könnte glauben, die Menschen hier wollten keine rasche Wiedervereinigung Deutschlands.

In der Tat war Helmut Kohls Vision von der schnellen Einheit nach westlichem Muster hier offenbar nicht so beliebt. Hinzu kam, dass die politische Landschaft erst im Werden begriffen war. Und mit der Nähe zu Westberlin hatten die Potsdamer möglicherweise auch andere Bezugspunkte vor Augen, nicht nur von der CDU. Beispielsweise die SPD mit Willy Brandt. Außerdem war ja die Ost-SPD im brandenburgischen Schwante gegründet worden.

Wie erklären Sie sich das starke Abschneiden der PDS, die nur wenige Monate nach dem Mauerfall auf über 27 Prozent kam?

Die SED-Nachfolgepartei hat in allen Bezirkshauptstädten überdurchschnittlich gut abgeschnitten, überall dort, wo die Verwaltungen saßen. Insofern ist das Ergebnis nicht verwunderlich.

Die großen Gewinner in Potsdam waren die Sozialdemokraten, was im Grunde bis heute hier so geblieben ist. Woran liegt das?

Traditionell wurde SPD-Milieu in der DDR eher in Sachsen und Thüringen vermutet, Stammlanden der Arbeiterschaft. Doch hatte sich dieses traditionelle Milieu komplett aufgelöst. Der intensive CDU-Wahlkampf mit den großen Auftritten Helmut Kohls hatte dort offenbar nachhaltige Wirkung. In Brandenburg hat sich dagegen ein neues Milieu für die SPD gebildet, die Volkskammerwahl hat dafür den Grundstein gelegt. Allerdings wird im Osten bis heute stärker nach Parteien gewählt.

Welche Bedeutung messen Sie der ersten und letzten freien Parlamentswahl der DDR heute bei?

Sie war die Vollendung der friedlichen Revolution und der davon herbeigeführten Wende, wenn Sie so wollen der Schlussstein für den Sieg der Demokratie. Gleichzeitig begann der Prozess der Neuformierung der politischen Landschaft in der DDR, stark beeinflusst vom westlichem Parteiensystem. In Potsdam haben sich die damaligen, im Wahlergebnis ausgedrückten Grundstrukturen bis heute erhalten. Gefestigt wurde das mit Manfred Stolpe als erstem Ministerpräsidenten. Als Mann der Kirche genoss er großes Ansehen und er war DDR-Eigengewächs statt ein West-Import. Die Frage der Stasi-Belastungen kam dann erst später. Darum war Stolpe der ideale Landesvater, vergleichbar mit Konrad Adenauer als erstem Kanzler der Bundesrepublik.

Es fragte Peer Straube

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })