Landeshauptstadt: Schnelle Wechsel
Inselhopping der anderen Art: André Hook liebt das Laufen. Jetzt hat der Potsdamer die schwedische Variante „Swimrun“ entdeckt
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Im Neoprenanzug laufen? Durch einen Wald? Das funktioniert doch nicht.“ Wolf Grohé winkt erst einmal ab, als ihm sein Schwager und Sportfreund André Hook ein Video über das sogenannte Swimrun vorspielt, eine junge Ausdauersportart aus Schweden. Die Teilnehmer schwimmen dabei durch offene Gewässer und laufen durch unwegsames Gelände im stetigen Wechsel. Dabei legen sie in Zweierteams bis zu 75 Kilometer zurück. André Hook hatte das Video schon ein paar Mal gesehen, war bereits Feuer und Flamme und überredete seinen Kumpel schließlich zu einem Versuch am Heiligen See. Das war im Frühjahr 2014. Inzwischen sind die Freizeitsportler Deutschlands schnellstes Swimrun-Team.
Der gebürtige Potsdamer André Hook und Wolf Grohé, geboren in Frankreich, aufgewachsen in Kolumbien und seit Ende der 1990er-Jahre in Deutschland daheim, sind zusammen Marathons gelaufen, sie sind von München nach Venedig gewandert oder haben an Triathlons teilgenommen. Sie lieben die Bewegung, die Natur, das Abenteuer und extreme Herausforderungen. Swimrun vereine all das, schwärmen sie. Hinzu kommt der sportliche Erfolg. André Hook und Wolf Grohé hatten sich auf Anhieb qualifiziert für die Ötillö Swimrun World Championship 2014. Die Weltmeisterschaft findet seit 2006 immer am ersten Septembermontag im Stockholmer Schärengarten statt. Am 5. September sind sie zum dritten Mal dabei.
„Ö till ö“ bedeutet auf Schwedisch „von Insel zu Insel“, und der Name ist Programm. 120 internationale Zweierteams schwimmen ab kurz vor 6 Uhr morgens durch die Ostsee, laufen anschließend über glitschige Felsen, durch feuchtes Schilf, durch dicht bewachsene Wälder und müssen dann wieder in die Ostsee springen, um kraulend das nächste Eiland zu erreichen. Die Athleten wechseln etwa 50-mal zwischen Wasser und Land. Die WM-Strecke führt zehn Kilometer durchs Wasser und 65 Kilometer über Land. Unterwegs orientieren sich die „Schläufer“, wie André Hook sich und seine Swimrun-Kollegen nennt, an Flatterbändern.
„Ich habe mich niemals mehr in der Natur gefühlt als beim Swimrun. Man ist da echt im Nirgendwo und auf sich gestellt“, sagt der 37-jährige Brandenburger, der einige Jahre beim Verein Triathlon Potsdam trainiert hat. Seit Mai wohnt er in Hamburg. Dort lebt schon länger der gleichaltrige Wolf Grohé. „Swimrun ist sehr kurzweilig. Manchmal merkst du gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht.“ Temperatursprünge von unter zehn bis über 20 Grad Celsius sind für die Freunde kein Problem. „Nach den Läufen bist du so aufgeheizt; da freust du dich richtig auf eine Erfrischung.“
Hook und Grohé genießen zwar die Natur, wollen aber in erster Linie so schnell wie möglich das Ziel und eine gute Platzierung erreichen. Diese Saison war die bislang erfolgreichste: ein Sieg und ein dritter Rang. Bei der anstehenden WM sollen 9 Stunden 28 Minuten und 52 Sekunden unterboten werden. Das war ihre Top-Ten-Zeit von 2015 und reichte am Ende für Platz neun. Die Weltmeister waren etwa eine Stunde schneller. In der Swimrun-Saison zwischen Mai und Oktober absolvieren die Norddeutschen sechs bis acht Rennen, teilweise mit wechselnden Partnern.
Manche spotten, Swimrun sei ja bloß Triathlon ohne Fahrradfahren. Was vor über zehn Jahren als Schnapsidee einiger Schweden begann, gilt heute weltweit als hartes Ausdauerrennen, das auch professionelle Triathleten und Iron-Man-Sportler anlockt. Diese wundern sich bei ihrem Swimrun-Debüt regelmäßig. Denn die ständigen Wechsel zwischen Land und Wasser, die Temperaturunterschiede sowie die Querfeldeinläufe machen das Rennen schwer und zermürben die Wettkämpfer auf Dauer.
Trotzdem ist der Zulauf groß. Auf der WM-Warteliste stehen inzwischen genauso viele Namen wie auf der Starterliste mit etwa 1500 Teilnehmern. Die Ötillö-Qualifikationen laufen ab Mai im schwedischen Utö, im Engadin in den Schweizer Alpen und auf den britischen Scilly-Inseln. Für die WM 2017 gibt es am 23. Oktober die erste Swimrun-Qualifikation in Deutschland beim Ötillö Swimrun 1000 Lakes auf der Mecklenburgischen Seenplatte mit Rheinsberg als Zielort. Regelmäßige Swimrun-Wettbewerbe finden auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm statt oder im Allgäu.
„Die Szene wächst auch bei uns“, freut sich André Hook. Er und Wolf Grohé nehmen manchmal Interessierte mit zum Großensee bei Hamburg, wo die beiden an den Wochenenden in voller Montur schwimmen, laufen und vor allem die Wechsel trainieren. „Du musst den Körper daran gewöhnen, dass er nach dem Schwimmen quasi von alleine losläuft“, erklärt Wolf Grohé. Aber auch alle Handgriffe müssten sitzen, ergänzt sein Sportpartner. Die Schwimmhilfen, also die Paddles und der Pullboy, sowie Schwimmbrille und Badekappe müssen für den Lauf am Neoprenanzug verstaut werden. Manche Sportler haben sich vorher kleine Löcher in die Sohlen ihrer Schuhe gebohrt, damit das Wasser schneller abfließt. Und natürlich sollte die Leine fest sitzen, mit der sich die Swimrunner aus Sicherheitsgründen verbinden.
Die eingeübten Mechanismen bringen Zeit oder kosten welche, je nach Vorbereitung. Das haben die beiden nach einem guten Dutzend gemeinsamer Rennen gelernt. Am wichtigsten sei indes der Partner. „Swimrun ist ein Teamsport. Man kann sich gegenseitig pushen, lässt sich selbst nicht so schnell hängen und teilt später die Erinnerungen“, sagt Wolf Grohé. André Hook nickt zustimmend. Überdies kann der andere zwischendurch einen Riegel reichen, wenn man bei der letzten Verpflegungsstation nichts gegessen hat und nun am „Hungerast“ leidet. Probleme gehören zu jedem Rennen. Etwa, wenn die Leine reißt, eine Kontaktlinse verloren geht, oder die Läufer ausrutschen und Hänge hinunterpurzeln. Aber außer Schrammen und Abschürfungen ist bei Grohé und Hook bisher nichts Ernsthaftes passiert.
Schwierig sei es bisweilen, das Training – bis zu zehn Mal pro Woche – mit den Bürojobs, der Familie, der Freundin zu vereinbaren. „Ich stehe unter der Woche um 5.30 Uhr auf und gehe schwimmen. Wenn ich zurückkomme, ist mein Sohn gerade aufgewacht und meine Frau steht unter der Dusche“, erklärt André Hook seine Strategie einer effizienten Zeiteinteilung. Dann laufen er und sein Partner regelmäßig zur Arbeit und rennen später noch Hochhaustreppenhäuser rauf und runter, um die Beine an Steigungen zu gewöhnen.
Natürlich muss kein Hobbysportler wie die beiden Wahl-Hamburger wöchentlich bis zu 140 Kilometer laufen und neun Kilometer schwimmen, um erfolgreich einen Swimrun-Wettbewerb zu beenden. Wichtig sei, dass man gerne schwimmt und dort durch die Natur läuft, wo andere nicht mal spazieren gehen, betonen die Extremsportler. Über Tempo und Entfernung entscheidet jedes Zweierteam nach Bereitschaft, Fähigkeit und Ziel. Die Veranstalter bieten auch sogenannte Sprintdistanzen an, die kürzer sind und für Swimrun-Anfänger gut zu schaffen sind.
André Hook und Wolf Grohé gehören zur Gruppe der ehrgeizigen Realisten. Sie wissen, dass sie mit den Cracks aus Schweden, Kanada, Großbritannien und Australien nicht mithalten können. Aber in Deutschland bilden sie derzeit das schnellste Swimrun-Team, und diesen inoffiziellen Titel wollen André Hook und Wolf Grohé so lange wie möglich verteidigen.
www.swimrun.de
Thomas Joerdens
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