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Homepage: Schneller als die Monsterwelle

Deutschland überreichte Indonesien die ersten Tsunami-Warnbojen – doch die Zukunft des Systems ist ungewiss

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Deutschland überreichte Indonesien die ersten Tsunami-Warnbojen – doch die Zukunft des Systems ist ungewiss Die offizielle Übergabe der beiden ersten deutschen Tsunami-Warnbojen an Indonesien am 10. Oktober dauerte nur wenige Minuten. Das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ hatte im Hafen von Jakarta festgemacht, der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Frieder Meyer-Kramer übergab dem indonesischen Forschungsminister die Technik aus Deutschland. Ein kurzer Auftritt für ein großes Unterfangen. Es geht um das Leben Zehntausender von Menschen. Geplant ist unter Federführung des Potsdamer GeoForschungsZentrums (GFZ) ein Tsunami-Warnsystem für den indonesischen Archipel bis Mitte 2008 – ein Vorhaben, von dessen Gelingen lange nicht jeder überzeugt ist. Skepsis gab es von Anfang an. Meyer- Krahmers ehrgeizige Chefin, Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, war es, die nur wenige Tage nach der Katastrophe zu Weihnachten Deutschland für ein Warnsystem ins Spiel brachte. Man hat sie verspottet damals, ja geradezu verlacht – ein Tsunami-Warnsystem für den Indischen Ozean, ausgerechnet von den Deutschen? Als hätten wir auch nur annähernd die Erfahrung der Amerikaner oder gar Japaner! Doch aus der Lach- wurde eine Erfolgsnummer. Bis jetzt. Bulmahn setzte sich durch: Indonesien schlug die Offerten der Amerikaner und Japaner aus und entschied sich für eine Zusammenarbeit mit Deutschland, nicht zuletzt wegen des großzügigen Angebots: Die Kosten für die 45 Millionen Euro teure Operation übernimmt die Bundesregierung. Sobald die Erde im Ozean bebt und einen Tsunami auslöst, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. In vier Schritten versuchen die Geophysiker diesen Kampf zu gewinnen. Stufe eins. An vorderster Front steht die Messung von Erdbeben, den Auslösern von Tsunamis. Auf diesem Feld hat Deutschland durchaus Erfahrung: Unter dem Namen „Geofon“ betreibt das Geoforschungszentrum in Potsdam GFZ ein weltweites Netz von Seismometern – Messgeräten, die jedes Zittern der Erdkruste registrieren. Auch um Indonesien herum sollen nun für das Warnsystem 40 Land-Seismometer installiert werden. Stufe zwei. Bebt der Meeresboden, führt das nicht automatisch zu einer Monsterwelle. Im Sundagraben vor Sumatra, wo zwei Erdplatten aufeinander treffen, vibriert es alle paar Tage – harmlose Zuckungen. Damit also nicht ständig falscher Alarm ausgelöst wird, muss man zusätzlich beobachten, was nach einem Beben mit dem Wasser passiert. Und da kommen die Bojen, ebenfalls am GFZ entwickelt, ins Spiel. Hinten am Heck der „Sonne“ hängt eine der sechs Meter langen Bojen. Davor schrauben junge Wissenschaftler an den Auftriebskörpern für die Drucksensoren. Sie werden an den Meeresboden heruntergelassen und stehen in Kontakt mit den Bojen. Die Sensoren messen den Wasserdruck: Je höher der Druck, desto höher das Wasser. Damit lässt sich messen, ob gerade ein Tsunami darüber hinwegfegt. Über ein akustisches Signal melden die Fühler ständig den Druck, den sie messen, an ihre Boje. Diese funkt die Daten an einen Satelliten, von dem aus sie an ein Datenzentrum, etwa das GFZ, weitergeleitet werden (siehe Grafik oben). Doch Daten allein reichen nicht. Man muss die Daten zu deuten wissen. Wenn ein Tsunami unterwegs ist, wie gefährlich ist er? Wo wird er mit welcher Höhe einschlagen? Das führt zu Stufe drei. Für derartige Vorhersagen braucht man Simulationsmodelle. Und damit man nicht erst mit den zeitraubenden Kalkulationen anfängt, wenn die Daten vorliegen, sollte man schon vorher für Tausende von Erdbebenstärken und Epizentren die Auswirkungen durchrechnen. Wenn es ein Seebeben gibt, muss man dann nur noch zu dem Datenmodell greifen, das mit den gemessenen Werten am besten übereinstimmt – nun weiß man, welche Küstenregionen in Gefahr sind. Diese Berechnungen übernehmen Geophysiker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. „Die Geschwindigkeit eines Tsunamis hängt von der Meerestiefe ab“, erklärt Udo Barckhausen, der Geophysiker, der die Fahrt der „Sonne“ wissenschaftlich leitet. Wie tief aber das Meer vor der Küste Indonesiens ist, ist weitgehend unbekannt. Die Crew der „Sonne“ macht sich deshalb gerade auf den Weg, „um Tausende von Quadratkilometern der Meeresbodenmorphologie vor Sumatra zu kartografieren“, wie Barckhausen sagt. Per Echolot. Insgesamt wird man für die Erstellung einer Karte der gesamten Küstenregion Indonesiens noch Monate brauchen. Und doch, all diese Daten retten noch kein einziges Menschenleben. Das ist erst möglich, wenn auch Stufe vier des Systems funktioniert: Wenn am Ende eine Warnung ausgesprochen wird, die die Menschen an den Stränden bis hin zum letzten Fischerdorf erreicht. Wie aber sollen die Menschen gewarnt werden? Per Handy? Über Radio und TV? Über die Moscheen? In Japan laufen wenige Minuten nach einem Erdbeben Meldungen über den Fernseher, in Hawaii gibt es die gute alte Sirene am Strand. Wird es das auch in Indonesien geben? Das scheint derzeit noch keiner so genau zu wissen. Klar ist nur, dass diese letzte kritische Stufe in der Hand der Indonesier liegen wird. Und es müsste Fluchtwege geben, Hügel, auf die man sich retten könnte. So überlegt man sich, ob man das Trümmermaterial der zerstörten Stadt Banda Aceh im Norden Sumatras nicht zusammenschaufeln sollte, um Rettungsberge daraus zu schaffen. Müsste, könnte, sollte. Konkret umgesetzt ist davon noch wenig. Die Menschen vor Ort kämpfen derzeit mit ganz anderen Problemen. So ist das langfristige Schicksal der Warnanlage, obwohl technisch durchführbar, alles andere als sicher. Schon macht man sich in Indonesien Sorgen über die Betriebskosten des Systems, die auf 300000 US-Dollar geschätzt werden – pro Monat. Was ist, wenn die nächste Welle erst in 50 oder 100 oder 150 oder 400 Jahren zuschlägt? Ist man da noch auf Warnungen eingestellt? Wird man so lange jedes Jahr wieder die Bojen und Drucksensoren warten? Keiner weiß es.

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