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50 Jahre Potsdamer Karneval Club: Schniepeltüte statt Büttenrede
Vor 50 Jahren wurde der Potsdamer Karneval Club gegründet, seitdem hat er viele Male das Rathaus gestürmt. Politische Reden sind heute aber weniger gefragt als zu DDR-Zeiten.
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Potsdam - Wenn der Karneval ein Barometer für die Zufriedenheit der Gesellschaft ist, dann geht es den Potsdamern gut. Politische Reden mit kritischen Tönen sind hier jedenfalls seit Jahren nicht mehr gefragt. „Männerballett geht besser“, sagt Birgit Däßler. Die Präsidentin des Potsdamer Karneval Club (PKC) kann sich auch nicht genau erklären, warum das so ist. Vielleicht, weil heute ohnehin überall öffentlich gemeckert werden darf? Früher jedenfalls war mehr Büttenrede, sagt auch Hans-Georg Meyer. Er muss es wissen, er ist seit 1973 Mitglied im PKC. Jetzt, im Jubiläumsjahr des Clubs, der gerade 50 Jahre alt wurde, sagt er wehmütig: „Ich bin der letzte Büttenredner.“
An Karten für Karnevalsnächte sei man kaum rangekommen
Meyer, Präsident a. D. und heute statt Redner Programmchef, seine Präsidentin und Innenminister Andreas Wegener sitzen am Weiberfastnachtsdonnerstag, bevor sie zum Fasching in die Staatskanzlei gehen werden, ziemlich genau da, wo alles angefangen hat: Im Potsdam Museum. Das hieß 1966 Kulturhaus „Hans Marchwitza“ und war gerade eröffnet worden. Zeitgleich erging damals von der DDR-Regierung das Signal, dass die Bevölkerung jetzt Karnevalsvereine gründen dürfe. Vorher wurde zwar Fasching gefeiert, aber organisierte Vereine waren nicht gewollt. Jetzt nahm der Kulturbund, der das kulturelle Leben in der DDR organisierte, die Karnevalisten unter seine Fittiche und „Marchwitza“-Leiter Hans Grünberg wurde sogar Gründungsmitglied. Am 3. Februar 1967 fand die erste Karnevalsveranstaltung des PKC statt – im Saal des Kulturhauses. Von dem schönen Gebäude schwärmt Meyer noch immer. Alles sei vom Feinsten gewesen. An Karten für die Karnevalsnächte, in denen 1500 Leute durch das Haus schwärmten, sei man kaum rangekommen. „Das war Goldstaub!“
Damals wuchs der Club bald auf knapp 50 Mitglieder an, und wer mitmachte, kam nicht nur günstig an Karten, sondern wurde, während der stressigen Probenzeit, sogar offiziell von seiner Arbeitsstelle dafür freigestellt. Heute undenkbar. „Heute ist das alles Freizeit. Oder man nimmt Urlaub“, sagt Birgit Däßler. Als Präsidentin und Choreografin für diverse Tanzgruppen ist sie seit Monaten fast jeden Abend für den PKC unterwegs. Das Männerballett, sagt sie, hat schon bei ihr im Wohnzimmer geprobt.
Wer im Männerballett tanzt, schreckt vor nichts zurück
Einer dieser Männer ist Andreas Wegener, seit 1994 Vereinsmitglied. Wer im Männerballett tanzt, schreckt vor nichts zurück, gleich in seiner ersten Saison tanzte er in einem Röckchen, das aus einem PNN-Regenschirm gebastelt war – harmlos eigentlich gegenüber dem, was später kam. Tanzen mit Beate-Uhse-Aufblaspuppen zum Beispiel. Oder mit Pickelhaube und peinlichen Badehosen wie das Modell, das jemand im Sechserpack aus seinem Italienurlaub mitbrachte: inklusive Schniepeltütchen. Wegener, ein eher stiller Typ, ist gerne Balletti. „Es hält einen fit“, sagt er. Spätestens im Sommer beginnt das Training – in allen Tanzgruppen. Neben der eher klamaukigen Männertruppe gibt es anspruchsvollen Showtanz und vor allem Gardetanz. Eine eigene Gardetruppe kann der PKC leider nicht auf die Beine stellen, die muss er für seine Veranstaltungen einkaufen. „Das Funkenmariechen muss man nämlich immer dabei haben“, sagt Däßler. Jetzt tanzt für sie eine Formation von Potsblitz.
Als Musiker heuerten sie jahrelang Mitglieder des einstigen Theaterorchester und Polizeiorchesters an, zuletzt die Big Beat Boys. „Es ist schwer, aus den eigenen Reihen welche zu finden“, sagt Meyer, „wer kann denn heute noch ein Musikinstrument spielen?“ Jeder Club braucht zudem einen guten Moderator, der improvisieren kann, wenn das Umkleiden hinter der Bühne mal länger dauert. Heiß begehrt sind Mitglieder, die schneidern können. Kostüme kaufen oder mieten ist teuer. „Das zahlt man alles aus eigener Tasche“, sagt Däßler. Prinzenpaar zu sein, muss man sich leisten können. Zu DDR-Zeiten war die Sache mit den Kostümen noch komplizierter. Als Karnevalist war man ständig auf Suche nach Material, nach Stoffen und Zubehör wie Knöpfen, Kordeln, Reißverschlüssen. Acht Paar identische Stiefel für die Tanzgruppe zu bekommen war eine Herausforderung. Aber da gab es Möglichkeiten, sagt Meyer, zum Beispiel Eintrittskarten als Gegengeschäft. Die DDR-Mangelwirtschaft fand sich dann wiederum in den Büttenreden, die ganz sicher auch die Stasi mithörte – aber beim Fasching durfte vieles gesagt werden, was sonst auf dem Index stand. Einmal jedoch machte jemand einen heimlichen Mitschnitt der Rede, die dann tags darauf auszugsweise im Rias zu hören war. „Da hatten wir ein Problem“, sagt Meyer. Das war 1989 vorbei. An diesem 11.111. marschierte der PKC-Zug spontan zur Glienicker Brücke und die Grenzer ließen ihn ohne Kontrolle auf die andere Seite. Obwohl Mitglieder vom Polizeiorchester mitmarschierten. „Da fragt doch keine Sau mehr nach“, habe es geheißen.
Das größte Problem: Es fehlt der Nachwuchs
Heute sind sie 24 Leute im Club, Durchschnittsalter 50, und ihr größtes Problem ist der Nachwuchsmangel. Junge Leute zieht es selten zum Karneval. Vielleicht auch, weil es so zeitintensiv ist. Wenn der Ehepartner nicht mitmacht oder zumindest tolerant ist, wird es nichts. Aber wenn es was wird – es gab schon Heiratsanträge auf der Bühne –, dann ist es großartig, sagen sie. Die Gemeinschaft, sagt die Präsidentin, hält das ganze Jahr über. „Man feiert zusammen auch Geburtstage und geht mal zum Bowling.“ Sie scheinen aber zumindest einen frischen Fan zu haben. Der neue Sozialdezernent Mike Schubert sei zwar erst etwas nervös gewesen, als die Karnevalisten am 11. 11. vergangenen Jahres das Rathaus stürmten. Dann aber sei er sogar zur Jubiläumsveranstaltung des PKC gekommen. Freiwillig. Das hat ihnen mächtig imponiert.
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