Landeshauptstadt: Schock in der 91. Minute
Wie Polen in Potsdam und Opole die WM- Niederlage erlebten – und stolz bleiben
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Potsdam/Opole - Eigentlich will er in der Fan-Area in der Brandenburger Straße auflaufen. Und dort seine Mannschaft unterstützen. Doch als Lukasz Glass das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer samt den zahllosen deutschen Fans sieht, zieht er mit seiner umgehängten polnischen Flagge lieber weiter. „Die haben uns alle wie Exoten angeguckt“, sagt der Babelsberger, der vor acht Jahren mit seinen Eltern von Polen nach Deutschland gezogen ist. Das Zittern um Sieg oder Niederlage erlebte der 19-Jährige trotzdem noch: In der Sports-Beach-Bar in der Speicherstadt, zusammen mit rund 1500 Fans vor der malerischen Kulisse der untergehenden Sonne über der Havel. Die Fahne seiner Heimat hat Glass kurz vorher weggebracht. Nach der ersten Halbzeit bleibt er bei seinem Tipp: Mit Zwei zu Eins ein knapper Sieg für Deutschland, „obwohl mein Herz für uns schlägt – und unsere polnische Mannschaft überraschend gut spielt.“ Aber das sollte nach der Niederlage gegen Ecuador auch so sein, sonst könnten sich die Kicker „kaum mehr nach Hause trauen“. Er lacht und geht zurück zu seinem Platz, von dem er die große Leinwand gut im Blick hat.
450 Kilometer weiter östlich wird ebenfalls für Polen gelitten. Opole. Potsdams Partnerstadt, Heimat von Deutschlands Stürmerstar Miroslav Klose, der dort bist zum Alter von acht Jahren wohnte. An diesem WM-Abend stehen hier Heidi und Bruno Schulz vom „Opole Club Potsdam“ im städtischen Stadion, um auf einer Großleinwand das Spiel zu sehen – zusammen mit sechs anderen Potsdamern verbringen sie hier den letzten Abend einer selber organisierten Sechs-Tage-Reise. „Der örtliche Touristik-Chef hat uns vor dem Spiel erzählt, die Stadt hätte nur Probleme, wenn Klose alle Tore schießt: Aber generell wäre es in Ordnung, dass er für Deutschland spielt“, berichtet Heidi Schulz. Während des Spiels sei die Stimmung im Stadion hoch emotional gewesen. Ohne Alkohol – in Polen wird bei großen öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten kein Alkohol ausgeschenkt. „Natürlich gab es ein paar Schmuggler, die Flaschen mit reingebracht haben“, hat sie beobachtet.
Eben alles wie bei uns, etwa wie ein Babelsberg-Spiel, laut, tosend, spannend, so erzählt Heidi Schulz von ihren Erinnerungen an die Übertragung. Und dann plötzlich das Tor von Oliver Neuville in der Nachspielzeit. Polen am Boden? „Trotz der Niederlage sind die polnischen Fans mit wehenden Fahnen durch die Straßen gezogen“, erzählt die Potsdamerin. Die Fans seien stolz auf die Leistung ihrer Mannschaft gewesen, besonders auf Torhüter Artur Boruc und seine zahlreichen Paraden gegen die Schüsse der Deutschen. Und noch etwas hat Heidi Schulz gefreut: „Zu uns waren auch nach dem Spiel alle sehr freundlich.“
In Potsdam hat Lukasz Glass unterdessen kurz nach dem Spiel keine Lust mehr zu feiern. Er habe zum Ende hin immer sicherer an das Unentschieden geglaubt. Doch dann kam die 91. Minute. „Das Tor war ein Schock und tat auch ein wenig weh“, sagt er. Trotzdem sei es ein klasse Spiel gewesen, Polen habe toll verteidigt, ehrenhaft gespielt. Ebenso sei wohl auch die Stimmung in seiner Heimat: „Die Leute wissen, dass unsere Mannschaft Defizite besitzt.“ Überhaupt bei der WM dabei zu sein, sei schon Grund genug zur Freude gewesen. Auch tags darauf ist die Laune von Lukasz Glass nicht schlechter, selbst als nach der Niederlage von Costa Rica gegen Ecuador klar ist, dass Polen nicht mehr das WM-Achtelfinale erreichen kann. „Meine Mitschüler haben alle deutlich gezeigt, dass sie die polnische Mannschaft nach dem Spiel achten“, erzählt er. Kein Häme habe es gegeben. „Das fand ich wirklich gut, das hat mich überrascht“, sagt Glass.
Auch direkt nach dem Sieg Deutschlands scheinen die Fans in der Strandbar am Havel-Ufer nur glücklich – nicht nationalistisch. Jubelnde Deutsche, viele leere Bierflaschen, ein paar Fans torkeln schon. Autos verlassen im Hupkonzert das Gelände, viele fahren mit wehenden Fahnen lautstark rund um den Innenstadtring. Ein Fan ruft immer wieder: „Ich werd“ jetzt auf der Hupe sitzen.“ Auch an anderen Plätzen der Stadt feiern die Fans bis tief in die Nacht – besonders laut ist es rund um die Fan-Area in der Innenstadt, die schon während des Spiele zwischenzeitlich wegen des riesigen Besucherandrangs von der Polizei weiträumig abgesperrt wurde: Kein Einlass mehr. Gefeiert wird deswegen schon davor. Und friedlich: Trotz des vielen Alkohols meldet die Polizei keine Schlägereien.
Die weiteren WM-Feierlichkeiten will sich auch Lukasz Glass trotz des Ausscheidens von Polen nicht vermiesen lassen. Er hat ein weiteres Lieblingsteam, dass er als einen WM-Favorit sieht: Portugal. Die haben, wenn auch nicht schön, schon gewonnen, wie Glass einschätzt: „Mal sehen, was da noch geht.“
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