Homepage: „Schon Kain hat Abel erschlagen“
Die Medienwissenschaftler Elizabeth Prommer und Lothar Mikos über die Rolle von TV-Krimis
Stand:
Frau Prommer, im Abendprogramm des Fernsehens findet man derzeit eine Flut von Krimis. Im ersten Programm läuft der „Tatort“, im zweiten gleich noch zwei „Wallander“ und im Dritten parallel eine „Tatort“-Wiederholung. Wie lässt sich diese Häufung erklären?
Elizabeth Prommer: Einiges erklärt sich durch das Sicherheitsbestreben der Programmplaner. Was gut läuft, wird wiederholt. Wir können immer wieder solche Strömungen beobachten, so gab es etwa eine ganze Weile lang die Ärzte- und Krankenhausserien, oder die Comedy-, Sitcom- und Reality-Formate, die nun wieder abgeebbt sind. Der „Tatort“ ist das Aushängeschild der ARD, das Flaggschiff des deutschen Krimis. Und wer für den „Tatort“ gearbeitet hat, ist in der Fernsehwelt geadelt. Das ruft dann auch die anderen Krimis auf den Plan. Das sind oft Bestsellerbücher, etwa Donna Leon, die sich auch im Fernsehen gut vermarkten lassen.
Wieso aber sind gerade Krimis beim Publikum so beliebt?
Prommer: Krimis waren immer schon sehr beliebt, den „Tatort“ gibt es seit den 1970er Jahren, davor gab es Edgar Wallace und „Stahlnetz“, im Osten den „Polizeiruf“. Es erscheint uns nur in der Ballung als ein neues Phänomen. Die Frage ist, ob das Publikum diese Ballung wirklich wünscht.
Lothar Mikos: Das große Bedürfnis nach Krimis kommt in unserem Kulturkreis auch aus dem christlichen Fundament unserer Erziehung. Schon Kain hat Abel erschlagen, und Christus wurde ans Kreuz geschlagen. Das sind alles auch Kriminalfälle. Das gehört zu unserer Sozialisation dazu.
Kompensieren die Zuschauer von Krimis auch unterschwellige Dinge?
Mikos: Das ist eine der wesentlichen Funktionen der fiktionalen Medien überhaupt, dass sie Dinge präsentieren, die wir in der Realität nicht machen können. Nicht die Medien wecken Bedürfnisse oder wirken auf uns. Nein, es ist umgekehrt, wir nutzen die Medien, weil wir darin Dinge finden, die wir im Alltag nicht tun dürfen oder können.
Krimis sind immer auch eine Reflektion der gesellschaftlichen Zustände.
Prommer: Das erklärt gerade auch den Erfolg des „Tatorts“. So waren hier schon sehr früh Frauen als Kommissare zu sehen. Interessant ist, wie manche Themen dort gesetzt werden, etwa vor einem Monat die umstrittene Folge mit Maria Furtwängler als Kommissarin, die einen Missbrauchsfall in einer alevitischen Familie aufklären musste. Worauf es dann auch massive Proteste von Bürgen alevitischen Glaubens gab. Interessant ist, wie früh kontroverse Themen aufgespürt werden, denn was wir sehen, ist schon vor zwei, drei Jahren entstanden.
In jüngster Zeit waren gehäuft Kinder Thema, Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung und Entführung. Welche Rolle hat hier das Genre?
Mikos: Fernsehen ist generell zur Moral-Instanz geworden. Es gibt die These von einem Kollegen, dass Fernsehen zu einer Art Kirchenersatz geworden ist. Weil es Alltagsrituale bietet, die sonst rar geworden sind. Früher ist man aufgestanden, wenn die Kirchenglocken läuteten, heute steht man auf, wenn das Frühstücksfernsehen beginnt. Zum anderen gibt es viele Formate, die eine Art Beichtinstitution geworden sind, für die, die daran teilnehmen, etwa Talkshows. Und natürlich ist Fernsehen eine Vermittlungsinstanz für Werte und Moral geworden. Davon lassen sich die Krimis nicht ausnehmen. Beim „Tatort“ spielt eine Rolle, dass fernsehhistorisch gesehen
Prommer: weißt Du noch, wann der erste „Tatort“ lief?
Mikos: „Taxi nach Leipzig“ mit Walter Richter als Kommissar Trimmel, 1970 vom NDR produziert, in dem die Ost-West-Problematik aufgegriffen wurde. Also, fernsehhistorisch hat der „Tatort“ heute die Rolle übernommen, die in den 70er/80er Jahren das sozialkritische Fernsehspiel hatte. Der „Tatort“ ist inzwischen weniger ein Krimi. Es gibt zwar immer die Kommissare, die ermitteln, aber in der Regel bei Fällen, die weniger große Verbrechen, sondern mehr Alltagsgeschichten und Atmosphärisches wiedergeben. Das wird sehr hoch gehängt. So versuchen etwa die „Tatorte“ mit Eva Mattes das Bodensee-Flair zu vermitteln, auch werden aktuelle Themen wie Umweltschutz eingeflochten. Die „Tatorte“ mit Maria Furtwängler wiederum wollen die Atmosphäre des platten Landes einfangen, die Kölner oder Berliner Ermittler hingegen haben meist städtische Probleme im Mittelpunkt. Die eigentlichen Fälle treten vor der atmosphärischen Schilderung von Lebenswelten stärker in den Hintergrund. Die Münsteraner mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl fallen da etwas heraus, das lebt viel von der Komik des Paares.
Warum so dicht an der gesellschaftlichen Wirklichkeit?
Mikos: Je näher die Filme an der Realität sind, desto deutlicher zeigt sich die Rolle des Fernsehens, nämlich zur Verständigung der Gesellschaft über sich selbst beizutragen. Man tauscht sich hinterher darüber aus. Das ist auch der Sinn der Sache.
War das beim DDR-Polizeiruf ähnlich?
Mikos: Tendenziell war es hier so, dass durch die Blume gesellschaftliche Problematiken, die man aufgrund der Parteilinie so nicht diskutieren konnte, abgehandelt wurden. So gab es beispielsweise einige Folgen, in denen es um Alkoholismus ging, den es offiziell in der DDR aber gar nicht gab. So wurde unterschwellig ein Diskurs in die Gesellschaft getragen.
Haben Krimis nicht auch negative Effekte, wenn wir uns jeden Abend Mord und Totschlag anschauen?
Mikos: Das würde voraussetzen, dass wir in einem Labor leben, und nur Krimis schauen. Wir haben aber alle ein normales Alltagsleben. Selbst wenn wir an einem Abend zwei Krimis schauen, sind das nur drei Stunden, etwa 12 Prozent einer Tageslänge. Das Leben ist in der restlichen Zeit mit anderen Dingen gefüllt, mit Anregungspotenzialen, die den Krimi relativieren. Wenn man rund um die Uhr Krimis schauen würde, wäre das eine andere Sache.
Prommer: Auch ist die Moral der Krimis meist, dass Verbrechen böse ist und man dafür bestraft wird. Das Rollenmuster und Werteschema, das dort transportiert wird, ist eigentlich recht simpel und stimuliert keine Gewalt. Es regt weder zur Nachahmung noch zur Konfliktlösung an.
Mikos: Es gibt aber auch Fälle, in denen es den Kommissaren leid tut, dass sie insistiert haben, weil sich herausstellt, dass der Täter eher ein Opfer war. Gerade in den Folgen des „Großstadtreviers“ kommt das häufig vor, weil es darin vor allem um das Hamburger Kiezleben geht. Da drücken die Polizisten auch schon mal ein Auge zu, weil sie den Täter kennen. Wie es auch im richtigen Leben vorkommt.
Entsteht nicht durch die gehäuften Krimi-Sendungen der Eindruck einer größeren Unsicherheit?
Mikos: Das würde voraussetzen, dass die Zuschauer nicht wüssten, dass es sich um einen Krimi handelt. Bei einer Dokumentation wäre es anders.
Können die Zuschauer das so genau trennen?
Mikos: Ältere Zuschauer nicht immer, der normale Zuschauer aber kann das.
Prommer: Die Studien über die Angst erregende Welt der Vielseher, die die Bedrohung durch Verbrechen nach umfangreichem TV-Konsum überschätzen, aus den USA der 70er Jahre, ließen sich in Deutschland nie reproduzieren.
Mikos: Es konnte nie nachgewiesen werden, ob die Vielseher, die Welt für gewalttätiger halten, weil sie so viel Fernsehen schauen, oder ob sie so viel Fernsehen schauen, weil sie Angst haben, vor die Tür zu gehen, weil sie denken, dass dort Gewalt vorherrscht.
Prommer: Es gibt so viele Überprüfungsmechanismen auf die Realität, dass Fernsehen dabei nur ein ganz kleiner Punkt ist.
Sie können also einen Zusammenhang zwischen der Darstellung von Gewalt im Fernsehen und der Gewaltbereitschaft ausschließen?
Mikos: Es gibt keine einfachen Zusammenhänge, wenn, dann sind sie sehr komplex. Grundsätzlich können Film und Fernsehen aber nicht zu Gewalttaten motivieren. Das Motiv resultiert in der Regel aus Konflikten und Problemstrukturen aus der sozialen Realität des jeweiligen Menschen. Wenn bei jemandem in der sozialen Realität eine Bereitschaft zur Gewalt vorhanden ist, und der einen entsprechenden Film sieht, kann dies tatsächlich eine bisher aufgestaute Gewalttat auslösen. Das müssen wir grundsätzlich in Kauf nehmen, da wir über die Medien positive wie negative Verhaltensweisen lernen. Negative Effekte durch Medien treten vorwiegend bei denjenigen auf, die ohnehin schon gewaltbereit sind. Solche Personen können sich dann beispielsweise auch aus Krimis Verhaltensmuster abschauen, wie sie Gewalt umsetzen können.
Prommer: Andersherum kann eine Fernsehsendung aber auch eine Gewalttat verhindern.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: