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Homepage: Schuhputzer statt Bambi

Studium an der Potsdamer Filmhochschule HFF: Viele Filme spiegeln die soziale Realität ungeschminkt wider

Studium an der Potsdamer Filmhochschule HFF: Viele Filme spiegeln die soziale Realität ungeschminkt wider Im Sommer 2002 starteten MDR und Bild-Zeitung ihre gemeinsame Kampagne zu Gunsten der Opfer der Flutkatastrophe. Die Spendengala am 16. August verfolgten fünf Millionen Fernsehzuschauer. Das entspricht einem Marktanteil von knapp 18 Prozent. Noch am gleichen Abend gingen 10 Millionen Euro Spendenzusagen ein. Insgesamt erbrachte die Kampagne 36 Millionen Euro. Im November nahm MDR-Intendant Udo Reiter freudestrahlend ein Bambi für die „erfolgreichste Spendenaktion in der Geschichte des Deutschen Fernsehens“ entgegen. Medien sind mächtige Multiplikatoren. Das ist kein Geheimnis. Doch ihr soziales Engagement gründet sich wesentlich auf das soziale Verantwortungs- und Sendungsbewusstsein derer, die sie gestalten und produzieren. Das müssen auch Studierende der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) lernen. Viele Regisseure, Redakteure, Dramaturgen, Kameraleute, Produzenten und Techniker, die heute bei Fernsehen, Film und Funk arbeiten, sind Absolventen der HFF. Sie ist die älteste deutsche Medienhochschule und die einzige Kunsthochschule Brandenburgs. In nunmehr elf Studiengängen – im Herbst vergangenen Jahres kam der Studiengang Filmmusik hinzu – bildet die HFF für eine Vielzahl von Medienberufen aus. Während der Ausbildung entstehen jährlich etwa 60 studentische Filme und Videos. Das Spektrum reicht von kurzen Tricksequenzen über Inszenierungs- und Lichtübungen im Studio, von dokumentaren Studien bis zu kinofähigen Kurz- und Langfilmen. Mehr als ein Drittel der Produktionen schafft den Sprung aus dem HFF-Filmarchiv auf Festivals, Kinoleinwände oder ins Fernsehen. Die Produktionen der letzten Jahre zeigen eine breite Genre- und Themenvielfalt. Vom Cartoon über liebevolle Porträts und genaue Alltagsbeobachtungen, vom Experimentalfilm bis zur politischen Satire, vom schwarzhumorigen Trickfilm bis zum sozialkritischen Langspielfilm – es findet sich beinahe alles. Die Filme lassen Talent, hervorragende handwerkliche Fähigkeiten, den kreativen Umgang mit künstlerischen Ausdrucksformen erkennen. Neugier, die Sicht auf Bekanntes aus unbequemen Perspektiven und fremden Blickwinkeln, Unangepasstheit, Mut zum Experiment, aber auch Leichtigkeit, Spaß sowie ein virtuoser Umgang mit Genrekonventionen fallen ebenso auf – und immer wieder soziales Engagement. Vor allem die Dokumentarfilme greifen soziale Themen auf. Vielleicht weil sich Dokumentarfilmer traditionell den sozial Benachteiligten und Menschen in schwierigen Lebenssituationen zuwenden. Im Frühjahr entstand ein Kurzfilm über eine Berliner Anlaufstelle für junge Asylbewerber, die ganz allein und in der Regel ohne Papiere nach Deutschland kommen. Ein Thema, das so bisher nur selten verfilmt werden konnte. Ein anderer Film beobachtet anonyme Beerdigungen in Bremen, wo – wie in jeder deutschen Stadt – Menschen einsam sterben und ohne Anteilnahme Angehöriger beigesetzt werden. Der Alltag von Kindern aus schwierigen familiären Verhältnissen, die sich täglich in einer betreuten Freizeiteinrichtung treffen, begegnet uns im nächsten Film. Weitere Filme stellen ein Seniorentheater vor, das mit Jugendlichen zusammenarbeitet und ein junges blindes Ehepaar, das sich durchs Leben kämpft. Alle Filme entstanden im ersten Studienjahr. Sie spiegeln ungeschminkt soziale Realität in Deutschland und präsentieren eine Wirklichkeit, die im Fernsehen nur zu später Stunde oder überhaupt nicht stattfindet und der es das Kino nicht einfacher macht. Regiestudent Götz Lilienfein drehte in der Türkei einen Kurzfilm über den 11-jährigen Cetin, der sich zusammen mit seinem Bruder in Istanbul als Schuhputzer durchschlägt. Den geringen Verdienst schickt er der Familie daheim in den Bergen, die auf das Geld angewiesen ist. Cetins größter Wunsch ist, zu Hause bei der Familie zu bleiben und in die Schule gehen zu dürfen. Die Ausstrahlung auf 3sat rief unter Zuschauern eine große Betroffenheit hervor. Einige boten spontan Hilfe an. Ein Bremer Knabenchor überwies die Hälfte seiner Einnahmen vom Weihnachtskonzert aufs Spendenkonto. So konnte Cetins Traum wahr werden. Obwohl eigentlich schon zu alt, dürfen er und sein Bruder jetzt mit einer Sondergenehmigung des Schulrats die Schule daheim im Dorf besuchen. Der Familie wird der Verdienstausfall monatlich aus den Spendengeldern finanziert. Was im Großen mit dem Bambi aufwändig zelebriert wurde, passiert im Kleinen eher unbemerkt. Soziales Engagement kann man nicht lehren, aber anregen, unterstützen und fördern, so wie an der HFF geschieht. Dass sich soziales Engagement und Einschaltquoten nicht ausschließen müssen, auch das bewies die MDR-Kampagne. Martina Liebnitz

Martina Liebnitz

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