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Gunter Demnig beim Setzen eines seiner Stolpersteine.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Schüler-Briefe an die Deportierten

Am 2. Juli 2010 werden in der Straße Alt Nowawes jüdische NS-Opfer mit Stolpersteinen geehrt

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Waldstadt - Der Kölner Künstler Gunter Demnig wird am 2. Juli dieses Jahres neun weitere Stolpersteine in Potsdam setzen. Mit diesen Gedenktafeln in der Straße Alt Nowawes soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Freitod getrieben wurden. Die vierkantigen Steine werden ins Straßenpflaster vor der letzten frei gewählten Wohnung der NS-Opfer eingelassen. Sie sind mit einer Messingplatte versehen, auf denen jeweils die Namen der NS-Opfer, ihr Geburtsdatum sowie Angaben über Ort und Zeitpunkt der Ermordung eingraviert sind.

Vier der Babelsberger Holocaust- Schicksale wurden in den vergangenen elf Wochen durch Schüler der Waldorfschule in der Waldstadt erforscht. Gestern präsentierten sie vor Mitschülern ihre Ergebnisse. In Archiven erforschten sie die Biografien von Kurt Samter, Margot und Heinz Falkenburg sowie Helene und Theodor Dornbusch. Für Heinz Falkenburg wird es keinen Stolperstein geben; er hat den Holocaust überlebt und lebte zuletzt in Israel.

Teils frei, ohne Blick auf einen Zettel, erzählten die Schüler vom Leben der verfolgten Babelsberger Juden. Jeder von ihnen hat einen kleinen Stein, den er auf einen kleinen Tisch ablegt, bevor er zu reden beginnt. So ist es Tradition bei den Juden. Wenn sie das Grab eines Angehörigen besuchen, lassen sie statt Blumen einen kleinen Stein zurück. Weil es in der ägyptischen Wüste, aus der das jüdische Volk der Überlieferung des Alten Testaments zufolge einst auszog, keine Blumen gab.

„Es ist sehr schwer, Dokumente und Fotos von Menschen zu bekommen, wenn sie von den Nazis ermordet wurden“, resümiert Lehrerin Sibylla Hesse. Geforscht wurde unter anderem im Landeshauptarchiv. Um allgemeine Informationen und Eindrücke zu erhalten, machten die Waldorf-Schüler eine Exkursion in die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Einziges direktes hinterbliebenes Zeugnis ist oft die Vermögenserklärung, die die Verfolgten vor ihrer Deportation in die Konzentrationslager abgeben müssen. In diesem Zusammenhang gelingt es den Schülern, Belege zu finden für die vom Historiker Götz Aly in „Hitlers“ gestellten These von der „Gefälligkeitsdiktatur“, durch die die Deutschen unmittelbar profitierten. In den Vita-Texten der jungen Forscher heißt es: „Großzügig bot der ,Oberfinanzpräsident Brandenburg in Berlin’ die Vermögenswerte der Dornbuschs nach deren Abtransport dem Finanzamt Potsdam an. Das hat geklappt: der Vorsteher des Finanzamtes hat Dornbuschs Wohnung im Beisein der Gestapo geöffnet und räumen lassen  Für die meisten Gegenstände seien bereits Interessenten gefunden; man müsse bei den Preisen aufpassen, dass Sachverständige nicht zu niedrige Preise ansetzen, um dann selbst zu kaufen “

Intensiv setzen sich die Schüler mit dem Freitod der Dornbuschs auseinander. Entkräftet nahmen sich die Deportierten am 24. Januar 1942 in Riga das Leben. „Darf man sich umbringen?“ Auf diese Frage finden die Schüler keine direkte Antwort. Sie „nähern“ sich einer Antwort nur an: „Ja, aber nur in einer ausweglosen Situation.“ Um dann gleich nachzulegen: „Was ist eine ausweglose Situation?“

Sehr bewegend sind die Briefe, die die Schüler den vier NS–Opfern schrieben. In einem heißt es: „Wir stöbern in Ihrem Leben herum. Finden Sie das unangenehm?“ Guido Berg

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