zum Hauptinhalt

Von Sabine Schicketanz: Sicher scheint nur die Stichwahl

Endspurt zur Oberbürgermeisterwahl: Jakobs gibt sich siegessicher, Scharfenberg bleibt zurückhaltend

Stand:

Potsdam, sechs Tage vor der Oberbürgermeisterwahl: Von einem heißen Endspurt im Kampf um das Regierungsamt keine Spur. Der Wahlkampf verläuft überraschend zahm, fast langweilig. Scheinen doch die Rollen klar verteilt: Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) geht als Favorit ins Rennen, der Linke Hans-Jürgen Scharfenberg im wiederaufgelegten Duell der OB-Wahl vor acht Jahren als sein schärfster Verfolger. Beide gehen davon aus, dass die Entscheidung zwischen Rot und Dunkelrot erst in der Stichwahl am 3. Oktober fallen wird – aufgrund der insgesamt sieben Bewerber sei es nahezu ausgeschlossen, dass einer im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erlangen könnte, so Scharfenberg, der 2002 mit nur 122 Stimmen Rückstand gegen Jakobs unterlag, gestern vor der Presse.

Während Jakobs gestern selbstbewusst von einer Wiederwahl ausging – „ich sehe keinen Anlass für einen Plan B“ – setzt Scharfenberg auf Zurückhaltung: „Von mir werden Sie keine Selbstsicherheit und Siegesgewissheit zu hören bekommen.“ Ein möglicher Grund: Seine Vergangenheit als Inoffizieller Mitarbeiter der DDR- Staatssicherheit, die zwar in Potsdam seit 15 Jahren bekannt ist, vor dem Hintergrund der rot-roten Regierung im Land aber deutlich an Bedeutung gewann. Dies sei eindeutig „eine Belastung im Wahlkampf“, so Scharfenberg, selbst wenn die politische Konkurrenz das Thema weitgehend ausspart. Allein die CDU hält eine „Regierungstätigkeit“ Scharfenbergs für ein Tabu. Der Linke stehe nicht „offen und ehrlich“ zu seiner Vergangenheit, meint die CDU-Kandidatin Barbara Richstein, Ex-Justizministerin und Landtagsabgeordnete. Scharfenberg hatte seine IM-Tätigkeit erst offenbart, als die Akten dem Präsidium der Stadtverordnetenversammlung bereits vorlagen; eine von allen Parteien besetzte Kommission empfahl jedoch keine Mandatsniederlegung. Für Scharfenberg ist die Lage klar: „Ich werbe um eine Bewertung meiner gesamten Lebensleistung“, er habe 20 Jahre im Stadtparlament Politik für Potsdam gemacht. Darüber hinaus könnten die Wähler – anders als beispielsweise bei der Ernennung eines Landesministers – direkt entscheiden, ob sie einen ehemaligen IM als Oberbürgermeister wollen.

Spannend für den ersten Wahlgang am 19. September dürfte vor allem das Rennen um den dritten Platz werden: Als wahrscheinlich gilt ein Zweikampf zwischen der CDU-Politikerin Richstein und der bündnisgrünen Landtagsabgeordneten Marie Luise von Halem – wobei Richstein ihr eigenes Ziel deutlich höher steckt: Sie trete nicht an, „um nur den dritten Platz zu erreichen“, sagte sie. Von Halem legt sich auf ein zweistelliges Ergebnis fest, das angesichts des Bundestrends der Bündnisgrünen, die in Brandenburg seit einem Jahr wieder dem Landtag angehören, keineswegs übertrieben sei. Könnte sie die Konkurrentin der CDU überrunden, wäre das „klasse“ und eine „Stärkung grüner Politik“. Käme es tatsächlich so, würde dies die Potsdamer CDU, die seit jeher als zerstritten gilt, wohl wieder in die Krise stürzen. Eher Außenseiter-Chancen werden FDP-Kandidat Marcel Yon eingeräumt, als einziger unter den Kandidaten der etablierten Parteien kein Berufspolitiker, sondern Unternehmer. Er will keine Prognose zu seiner Platzierung abgeben.

Ob SPD oder FDP – die Wahlkampfthemen aller Bewerber sind nahezu deckungsgleich: Angesichts des rasanten Wachstums der Potsdamer Bevölkerung sollen genügend Kindertagesstätten-Plätze geschaffen sowie Kita- und Schulgebäude saniert werden, Wohnungsmieten müssten bezahlbar bleiben, der Klimaschutz in den Vordergrund rücken. Das geht sogar soweit, dass Scharfenberg „in wesentlichen Punkten Übereinstimmungen“ mit der CDU-Konkurrentin Richstein entdeckt hat – die man im Übrigen „nicht unterschätzen“ dürfe. Jakobs dagegen sieht eher die Bündnisgrüne von Halem auf dem dritten Platz.

Ein unfreiwilliges Wahlkampf-Thema ist der Uferkonflikt am Griebnitzsee: Am 29. September, vier Tage vor dem Stichwahl-Termin, soll der Haushaltsausschuss des Bundestags entscheiden, ob die 51 Ufergrundstücke des Bundes an private Anrainer oder die Stadt verkauft werden. Das Votum gilt als Vorentscheidung im Konflikt: Gehen die Flächen, die über die rund drei Kilometer ehemaligen Mauerstreifen verteilt sind, an die Anrainer, scheint das Vorhaben der Stadt, dort einen Uferweg durchzusetzen, kaum mehr möglich. Die Chancen für Potsdam stehen trotz Drei-Millionen-Euro-Gebot nicht gut: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich jüngst deutlich für den Verkauf zum Höchstpreis ausgesprochen. Dagegen stellte sich gestern die CDU-Oberbürgermeisterkandidatin Richstein. Sie wünsche sich von den CDU-Abgeordneten im Haushaltsausschuss eine Entscheidung, die „das öffentliche Interesse berücksichtigt“.

Neben den etablierten Parteien schicken die Gruppe „Die Andere“ Benjamin Bauer und die Piratenpartei Marek Thutewohl ins Rennen. Wahlberechtigt sind 127 450 Potsdamer, rund 21 000 mehr als bei der OB-Wahl 2002. Damals lag die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl bei 40 Prozent. Seit dem sind rund 74 000 Menschen neu nach Potsdam gezogen, 63 000 dagegen weggezogen. Der massive Bevölkerungsaustausch macht den Parteien die Prognosen schwer – die Frage bleibt, wer von den Zuzüglern am stärksten profitieren kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })