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Schwarmstadt Potsdam: „Sie kommen nicht nur für die Jobs“

Wirtschaftsprofessor Harald Simons spricht im PNN-Interview über die Schwarmstadt Potsdam, warum die Zuzügler ihre Jobs gar nicht unbedingt hier suchen und warum die Entwicklung Gift für die Peripherie ist.

Stand:

Herr Simons, Sie erforschen Schwarmstädte Deutschlands, Städte, die heute viele Menschen anziehen. Auch Potsdam zählt zu diesen Boomtowns. Wer schwärmt denn hierher, die Bayern und Hamburger?

Nein, die gerade nicht, zumindest nicht in signifikantem Ausmaß. Die Wanderungen, die wir heute beobachten, vollziehen sich nicht über große Distanzen. Es sind vor allem Brandenburger und einige aus Sachsen-Anhalt, die nach Potsdam kommen – wenn sie nicht nach Berlin oder Rostock gehen. Die Prignitz oder Ostprignitz-Ruppin verlieren deutlich junge Einwohner. Und die gehen zuerst nach Rostock, dann nach Potsdam, Schwerin, Berlin und Hamburg. Man bleibt ungefähr im 200-Kilometer-Radius. Wir sehen in vielen ländlichen Räumen und Städten Deutschlands eine Abwanderung, die sich in den Schwarmstädten konzentriert.

Also kommen noch mehr Studierende nach Potsdam?

Nein, das ist nur der kleinere Teil des Schwarms. Potsdam gewinnt vor allem auch bei den 25- bis 30-Jährigen hinzu. Das macht eine Schwarmstadt aus. Der Unterschied zu den altbekannten Studienstädten wie Würzburg oder Tübingen ist, dass die sehr stark bei den Studierenden hinzu gewinnen, aber bei den Berufsanfängern verlieren.

Schwärmen nicht gerade auch ältere Menschen nach Potsdam?

Tatsächlich gehört Potsdam auch hier zu den Gewinnern. Es gibt einen kleinen Altenschwarm, der meist aus den großen Städten kommt. Aber das sind Peanuts im Vergleich zu den jüngeren Zuzüglern. Die Älteren verlassen vor allem die teuren, großen Städte wie München, Stuttgart, Düsseldorf oder Köln. Die Küste und der Alpenrand gewinnen hinzu sowie einige Städte wie Leipzig, Landshut, Schwerin, Potsdam, Baden-Baden und Weimar.

Kommen die Berufsanfänger wegen der Arbeitsplätze nach Potsdam?

Nein. Das ist das eigentlich Überraschende. Das Schwarmverhalten betrifft nicht wirklich die Arbeitsplätze. Wir sehen vielmehr einen sehr starken Zustrom in wirtschaftlich eher schwache Städte. Die Stadt mit der größten Anziehungskraft in Deutschland ist aktuell Leipzig, vor München! Im Vergleich zu Städten wie Ulm oder Pforzheim ist dort wirtschaftlich aber weniger los. Die 25- bis 30-Jährigen ziehen nicht dem Job hinterher. Jobs sind zwar wichtig, aber weniger, als man glaubt. In Dessau und Merseburg wächst die Zahl der Arbeitsplätze, sie verlieren aber trotzdem Einwohner. Wenn in Merseburg Jobs entstehen, gewinnt Leipzig – von den Jobs in Dessau profitieren Berlin und Halle. Das heißt, man zieht zwar irgendwie schon dem Job hinterher, aber will trotzdem in einer schönen, lebendigen Stadt wohnen und ist bereit, dafür lange Arbeitswege in Kauf zu nehmen.

Das klingt nach einer ganz neuen Entwicklung.

Bisher war aus ländlichen Regionen ein starker Pendlerstrom in die städtischen Regionen unterwegs. In den vergangenen zehn Jahren hat sich nun ein Gegenstrom dazu etabliert. Leute, die aus den neuen Schwarmstädten heraus aufs Land pendeln, weil sie da einen Job gefunden haben aber in der Stadt wohnen wollen. Die Züge von Berlin nach Wolfsburg sind morgens immer voll. In München pendelt mittlerweile ein Viertel der Arbeitnehmer aus der Stadt heraus. Die Studenten der Viadrina pendeln von Berlin nach Frankfurt (Oder). Heute ist die Wohnortattraktivität das Entscheidende. Man zieht dorthin, wo es einem gefällt. Und wenn man dort keinen Arbeitsplatz findet, pendelt man halt notgedrungen zum Arbeitsplatz.

Die meisten Potsdamer Pendler arbeiten doch in Berlin.

Nicht nur. Das sind die Ströme, die es bislang schon gab. Potsdam ist aber auch ein Sonderfall: Es ist sowohl Schwarmstadt als auch Vorort. Einerseits arbeitet man eben in Berlin, andererseits pendeln auch Berliner nach Potsdam und Potsdamer beispielsweise nach Brandenburg/Havel. Die könnten auch dorthin ziehen, das wollen sie aber nicht. Sie wollen in Potsdam sein, weil dort mehr los ist als in den Randregionen und es trotzdem noch gemütlicher ist als in der Riesenmetropole Berlin.

Die vielfach teuren Wohnungen machen Potsdam mittlerweile kaum noch anziehend.

Die Preise steigen durch die große Nachfrage.

Und in Zukunft wird es hier zu teuer für weitere Schwärme?

Das hoffe ich.

Wieso das?

Das größte Problem sind nicht die steigenden Mieten in den 30 Schwarmstädten in Deutschland, auch wenn alle darüber reden. Das ist letztlich ein Luxusproblem. Das eigentliche Problem haben die ausblutenden Regionen. Schrumpfung ist immer sehr viel hässlicher als Wachstum. Wir müssen den Blick auf diese Regionen richten. Dort wandern die jungen Menschen ab, weil sie zur Minderheit geworden sind und nichts mehr los ist. Da geht es nicht nur um Infrastruktur, sondern auch um die Zahl der Freunde in erreichbarer Entfernung. Die hat dort so stark abgenommen, dass es in einigen Regionen Anzeichen dafür gibt, dass nun auch die gehen, die eigentlich bleiben wollen, um nicht die Letzten zu sein.

Und nun?

Wir müssen den ländlichen Raum stützen und dürfen nicht zulassen, dass die gesamte Aufmerksamkeit von den Großstädten absorbiert wird. Dies wird aber nicht mit dem Prinzip der Gießkanne funktionieren, sondern mit einer konsequenten Umsetzung des alten Brandenburger Prinzips der „Stärken stärken“. Es sollten ausgewählte Klein- und Mittelstädte im ländlichen Raum – wie beispielsweise Neuruppin, Fürstenwalde – gestärkt werden, die eine Chance haben, etwa gegen Potsdam, Rostock und Berlin anzukommen. Wenn man in Potsdam 5000 zusätzliche Wohnungen mit öffentlichem Fördergeld baut, verliert die Peripherie weitere 5000 Bewohner. Wenn aber möglichst viele Menschen an ihren Wohnorten bleiben, steigen die Mieten in Potsdam langsamer.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Harald Simons (Leipzig/Berlin) spricht am heutigen Mittwoch über „Schwarmstädte in Deutschland“, um 19 Uhr im Einstein Forum, Am Neuen Markt. Der Eintritt ist frei.

ZUR PERSON: Harald Simons (48) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). Zudem ist er Mitglied des Vorstands der empirica ag Berlin. 

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