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„Sehsüchte“-Fokus: Das junge Kino aus Südafrika ist auf der Suche nach Bewältigung und Authentizität
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Am Ende weiß das Mädchen nicht mehr, was wahr ist und was nicht. Elizabeth aus dem Matabeland trägt ihren Namen, der sie noch in den düstersten Augenblicken an die Königin von England erinnert, mit Stolz. Dennoch wird sie im Dorf „the Rabbit“ genannt. Im Schutz der Büsche wird das Kind zur Beobachterin furchtbaren Leids. Aus ihrem heimlichen Versteck heraus wird sie gewahr, wie ihr Vater eines Nachts im Beisein von „Geistern“ in einem unterirdischen Tunnel verschwindet. Sie muss mit ansehen, wie ihre hochschwangere Tante von marodierenden Soldaten vergewaltigt wird. Dennoch, selbst als über den Schmerz der im Schlaf weinenden Mutter die Wände der Hütte Tränen vergießen, zerbricht das Mädchen nicht daran. Daran, dass alle zu Vögeln werden („We will all become birds“) und an die Hoffnung, glaubt es felsenfest.
Der Film „The Tunnel“ verarbeitet das Schicksal der Menschen im Matabeland, wo in den 1980er Jahren die Henker Mugabes ganze Dörfer auslöschten. Die südafrikanische Filmemacherin Jenna Bass erzählt die Tragödie so, dass sich Dokumentarisches und Metaphorisches auf eindringliche Weise verschränkt. Als Favorit für die Endauswahl der Wettbewerbsbeiträge aus Südafrika werden neben „The Tunnel“ derzeit die Kurzfilme „Superhero“ der ebenfalls weißen Südafrikanerin Hanneke Schutte und der Beitrag „Emasisweni“ („The Return“) des 22-jährigen Zwelisizwe Ntuli gehandelt. Alle drei Filme nehmen sich der Bewältigung erlittener Traumata an. Aus allen drein spricht auf unterschiedliche Form die Sehnsucht, das geschehene Leid und Unrecht zu überwinden.
„Superhero“ und „Emasisweni“ formulieren Schuldeingeständnisse und drängen auf Versöhnung. In der tief empfundenen Scham und Reue über die Apartheid („Superhero“) und über sinnlose Gewalt unter Seinesgleichen („Emasisweni“) geht es in diesen Filmen vor allem um eins: um Bewältigung der Vergangenheit. Junge Filme aus Südafrika sind weit davon entfernt, in die Unterhaltungsrichtung abzudriften. Die aus insgesamt 50 Einsendungen ausgewählten elf Beiträge, die gestern beim Internationalen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ zu sehen waren, bestätigten dies. Mit großer Ernsthaftigkeit stellen sich die Filmemacher dem Erbe der Apartheid, gehen hinein in die Slums, legen den Finger in die Wunden.
An Stelle vorrangig rassistisch begründeter Konflikte tun sich im heutigen Südafrika neue Abgründe auf zwischen denen, die privilegiert leben und jenen, die immer noch am Rande der Gesellschaft stehen. Schwarz und Weiß ist längst nicht mehr ausschließlich eine Frage der Hautfarbe. Die Gründe für gesellschaftliche Polarisierung sind weitaus komplexer. In den Fokus junger Filmemacher geraten vorrangig jene Themen, die buchstäblich auf der Straße liegen. Die Spirale aus Angst, Armut und Gewalt, Vetternwirtschaft, Korruption und vielfältigen Formen der Diskriminierung bestimmen unverändert Alltag und Lebenswirklichkeit. Der Kampf um die wirtschaftliche, manchmal auch schlicht um die nackte Existenz prägt daher thematisch auch die Filme.
Kenner des Films aus Südafrika – unter ihnen der an der Potsdamer Filmhochschule HFF lehrende Kameramann und Dokumentarfilmer Michael Hammon – weisen darauf hin, dass die Filmszene in Südafrika eine noch recht junge ist. Im Grunde erst während der sich in Südafrika und in Deutschland annähernd zeitgleich ereignenden politischen Wende setzte am Kap eine Demokratisierung der Medien ein. Eingedenk der überwiegend schwierigen Bedingungen, unter denen mangels finanzieller wie technischer Ausstattung in Südafrika Filme produziert werden, ist die Filmszene in Südafrika noch immer ziemlich überschaubar. Das berichtet Michael Hammon, der auch Mitglied der Fokus-Jury ist. Auf der Suche nach einer eigenen Filmsprache würden sich die Protagonisten des Independent Film bislang tendenziell eher in Richtung Hollywood orientieren.
Dies berührt jedoch nur die Wahl der Stilmittel für die filmische Umsetzung ihrer so völlig eigenen Alltagsrealität. Für den Schritt, Distanz zur eigenen Situation einzunehmen, scheint es angesichts der im Wettbewerb laufenden Fokus-Filme momentan noch etwas verfrüht. So bleibt das Bemühen um Authentizität in den Produktionen der jungen Filmemacher aus Südafrika vorherrschend. Auf diese Weise werden sie zu Botschaftern aus einem weit entfernten Land.
Das Flugchaos hat den direkten Dialog mit den südafrikanischen Filmemachern auf dem Festival leider vereitelt. Die für gestern Nachmittag angesetzte Diskussion mit ihnen musste aus gegebenem Anlass entfallen. Doch die Filme, die der Fokus-Verantwortliche Moritz Klausing aus Südafrika nach Potsdam geholt hat, sprechen für sich. Almut Andreae
Almut Andreae
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