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Fälle Elias und Mohamed: 6. Verhandlungstag in Potsdam: Silvio S. sah seine Fahndungsfotos in einer Videothek

Noch immer schweigt der mutmaßliche Mörder von Elias und Mohamed. Am heutigen sechsten Prozesstag sagen erneut Polizisten aus. Zunächst geht es um die Festnahme - und um die Gegenstände, die die Beamten im Auto des Angeklagten gefunden haben.

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Potsdam -  Im Prozess gegen den mutmaßlichen Kindermörder Silvio S. werden an diesem Montag weitere Aussagen von Polizisten erwartet. Zuerst schilderte ein Polizist die Festnahme des 33-Jährigen. Der Polizist war zur Anschrift von S. gefahren, nachdem dessen Mutter ihn auf einem Fahndungsfoto in der Zeitung erkannt hatte. "Huch, was machst Du denn in der Zeitung?", will die Mutter nach dem Wiedererkennen gesagt haben. Silvio S. soll sich nach der zitierten Aussage keinen Moment verteidigt haben. "Ich hab’s gemacht. Ich hole noch Beweise", soll er den Eltern gesagt haben.

Silvio S. fuhr daraufhin im Auto fort. Die Mutter rief bei der Polizei an. Der Beamte nahm ihn dann bei dessen Rückkehr in Empfang. Die Augen des Beschuldigten seien "tellergroß" geworden, er habe zunächst aber kein Wort gesagt. Beim Einzelgespräch in der Küche habe S. zumindest gesagt: "Es wäre vielleicht besser, einen Anwalt zu holen." Kurz darauf hätte der 33-Jährige herbeigerufenen Kollegen gesagt, sie sollen in den Kofferraum seines Dacia sehen. Dort fanden die Polizisten den Leichnam des vierjährigen Mohamed - in einer gelben Plastikwaschschüssel, randvoll mit Katzenstreu. Die Schüssel selbst und andere Beweismittel waren am nunmehr sechsten Verhandlungstag im Gerichtssaal ausgestellt: Im Auto von Silvio S. fanden die Beamten unter anderem Daumenfessel, mehrere Masken, einen Mundknebel mit Mundring, Kabelbinder, mehrere Handfesseln, Schlaftabletten und Chloroform.

Auffällig kaltes Verhalten des Vaters

Der Beamte schilderte auch das auffällig kaltherzige Verhalten des Vaters von S. während der Festnahme. Er habe geäußert, schon seit Monaten nicht mehr die Wohnung des Sohns in der gemeinsam genutzten Doppelhaushälfte im Niedergörsdorfer Ortsteil Kaltenborn betreten zu haben. "Unser Sohn lebt sein Leben, wir unseres", sagte der Vater. Vater und Mutter des Angeklagten haben in dem Prozess von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Aussage zu verweigern. 

Ein weiterer Polizist berichtete, dass für ihn klar gewesen sei, dass der Leichnam in der Wanne - auch aufgrund der ersten Äußerungen von S. - durch einen schnurartigen Gegenstand zu Tode gekommen, also erdrosselt worden sein muss. Der Grund: Als die Beamten Silvio S. nach seiner Festnahme durchsuchten, fanden sie ein Handyladekabel und eine Art Schnur in seiner Hosentasche. Was es ganz konkret war, zeigte Staatsanwaltschaft Peter Petersen dann. Er zog sich einen Gummihandschuh an und nahm das Tatwerkzeug von einem Wagen mit Beweismitteln: Es war ein dünner schwarzer Gürtel mit Metallnieten.

Nach Angaben des Beamten fanden sie in der Hosentasche von S. auch einen Zettel, auf dem Kontaktdaten von Anwälten, auch aus Potsdam, standen.

Zeuge: Der Vater hätte lachend gefragt, warum so viel Polizei nötig sei

Auf Nachfrage der Anwälte von S. schilderte der Beamte nochmals die Situation beim Eintreffen der Polizisten in Kaltenborn. Der Vater hätte lachend gefragt, warum so viel Polizei nötig sei - und dass die Beamten den ganzen Schmutz von draußen in die Wohnung tragen würden. Die Mutter hätte erwidert, dass es sich doch nicht um eine Verkehrsangelegenheit handle.

Danach wurde ein dritter Beamter gehört, der bei Festnahme ebenfalls anwesend war. Aron H., 26 Jahre alt, stationiert in Ludwigsfelde, war erst nach seinem Dienstgruppenleiter in Kaltenborn eingetroffen.

Hoffnung, dass Mohamed noch lebt

Der Dienstgruppenleiter habe mit S. bereits geredet und dann die Festnahme ausgesprochen. Danach habe er S. abgetastet und weiter das Gespräch mit ihm gesucht, gefragt, wo Mohamed sei. "Wir hatten die Hoffnung, dass der Junge noch lebt, weil bislang nur von einer Entführung ausgegangen wurde." Dann habe S. gesagt: "Schaut mal in den Kofferraum."

Eine Situation werde er aber in seinem Leben nicht mehr vergessen, sagte H. Wie der Vater in der Wohnung saß und sagte: "So viel Polizei, wozu denn?" Und: "Jetzt saut ihr mir mit den dreckigen Schuhen den Teppich ein." S. habe nach der Festnahme niedergeschlagen gewirkt, aber auch ganz ruhig. Er habe sich nicht kindlich benommen, sondern wie ein erwachsener Mann.

Warum musste Mohamed sterben?

Auch als die Beamten S. zur Polizeiinspektion in Luckenwalde fuhren, suchten sie weiter das Gespräch. Das allerdings verlief ebenso bizarr, denn das neue Navigationsgerät im Einsatzwagen zeigte nicht den kürzesten Weg an. "Das Navi hatte Probleme. Silvio S. kannte sich aber aus und hat uns dann den kürzesten Weg selbst gesagt", berichtete der Beamte. Seine Kollegen habe gefragt, warum Mohamed sterben musste. S. habe geantwortet, dass Mohamed gequengelt habe, dass es schnell ging und Mohamed sich nicht habe quälen müssen. Und dass er wünschte, er wäre ein Unfall gewesen, es aber keiner war.

Zeuge: Silvio S. nicht besonders intelligent

Im Zuge des Gesprächs im Streifenwagen sei die Stimmung gekippt. Weil er den Beamten den richtigen Weg zeigen konnte, sei S. immer selbstsicherer geworden, habe die Stirn gerunzelt und die Beamten "von oben herab" behandelt, "als wenn wir die Doofen sind." S. habe den Fragen der Beamten offenbar ausweichen wollen, sie hätten immer wieder nachhaken müssen, wobei der Beamte H. den Verhafteten nicht als besonders intelligent wahrgenommen hat.

Nach der Mittagspause setzte die Schwurgerichtskammer am Landgericht die Zeugenvernehmung fort. Zunächst befragte die Kammer einen 59-jährigen Beamten. Gerhard W. ist Kriminaltechniker in der Brandenburger Polizeidirektion West und war dabei, als die Leiche von Elias im Garten von Silvio S. in Luckenwalde gefunden wurde. Auch bei der Obduktion des Leichnams bei der Rechtsmedizin in Berlin war W. anwesend.

Videothekar: "Er hat sich den schärfsten Scheiß ausgeliehen, den ich hatte."

Silvio S. hat sich mehrfach extreme Pornofilme in einer Videothek in Jüterbog ausgeliehen. Das berichtete der Inhaber Sven G. am Montagnachmittag vor der Schwurgerichtskammer. "Das war auf jeden Fall aus der Sado-Maso-Ecke, das war sein Ding mit Fesseln und Knebeln", sagte G. "Er hat sich den schärfsten Scheiß ausgeliehen, den ich hatte." Richter Theodor Horstkötter sprach von Videos aus dem "Ultra Hardcore SM-Bereich". Insgesamt fünf Filme hatte sich S. nach seiner Anmeldung in der Videothek am 18. November 2014 ausgeliehen, das letzte Mal am 18. Oktober 2015, also mehr als zwei Wochen nach der Entführung und Ermordung von Mohamed. Im Unterschied zu anderen Kunden, die sich Pornos ausliehen, habe sich S. ganz normal verhalten. Kunden mit Interesse an Pornos würden normalerweise peinlich genau darauf achten, kurz nach Öffnung der Videothek am Mittag oder kurz vor Schluss am Abend zu kommen und möglichst jeden Kontakt zu anderen Kunden zu vermeiden. Nicht so S. "Ihm war es nicht peinlich, Filme aus der Pornoecke auszuleihen, das war selbstverständlich. Er ist normal damit umgegangen. Andere Kunden sind da ein bisschen nervöser", sagte G. Die letzten beiden Filme, die sich S. ausgeliehen hatte, seien die schlimmsten gewesen, "die man sich legal ausleihen kann", erklärte der Videothekar.

Die Anwälte der Familie von Mohamed erinnerten den 45-Jährigen an einen Vorfall, der sich Ende Oktober 2014 zugetragen hat, also kurz nachdem sich S. in der Videothek als Nutzer angemeldet hat. Damals ging ein anonymer Anruf bei dem Jüterboger im Geschäft ein. Am anderen Ende der Leitung fragte jemand, ob er Kinderpornos habe. Und ob er nicht selbstgedrehte Kinderpornos haben möchte. Im Nachhinein vermutete G., dass es sich bei dem Anrufen um Silvio S. gehandelt haben könnte. Aber das war nur eine Vermutung, weil die Taten von S. doch "in der Gegend das einzige mit Kindern war.“

Der Angeklagte soll nach der Entführung von Mohamed noch einmal in der Videothek gewesen sein

Nach der Festnahme von Silvio S. hat Sven G. auch ganz persönlich Konsequenzen gezogen. Zunächst hat er den Bereich mit den SM-Pornos geschlossen. Bald macht er auch seine Videothek, die in einem großen Umkreis die einzige Verbliebene in der ländlichen Region im Süden Brandenburgs sei, komplett dicht. Auch das hat mit Silvio S. zu tun. Als S. am 18. Oktober 2015 noch einmal in der Videothek war und sich die bis dahin härtesten Pornos auslieh, liefen im Fernsehen gerade die Nachrichten. Das Gerät hing über dem Tresen der Videothek.

Gezeigt wurden Bilder aus der Überwachungskamera am Berliner Lageso, wo Silvio S. am 1. Oktober den vierjährigen Mohamed entführt hat. Es waren die ersten Bilder, mit denen die Berliner Polizei an die Öffentlichkeit gegangen war. Klar zu erkennen war der Tatverdächtige mit Mohamed an der Hand aber noch nicht. Dass es der heutige Angeklagte war, zeigte erst der Abgleich mit einem anderen Foto aus einem Lokal am Lageso, das die Polizei Bilder später veröffentlichte. "Ich habe mit ihm gesprochen", sagte Videothekar G. "Mohamed war mit ihm an der Hand zu sehen." S. stand am Tresen und schaute auf den Fernseher. Der Videothekar erkannte Silvio S. zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht.

Silvio S. sprach allgemein über die Entführung

In dem Moment sprach er allgemein über die Entführung, und dass das doch ein Ding sei. S. habe dann gesagt, "sowas müsste man umbringen". An diesem Moment sei auffällig gewesen, schilderte der Videothekar heute, dass der damals 32-Jährige, der sich selbst auf dem Fernsehschirm erkannt haben muss, so ruhig wirkte. "Er war nicht erschrocken, sondern ganz gefasst, als ob nichts war, als ob es ihn nichts anging." S. bezahlte die Rechnung für die Pornos schließlich um 18.47 Uhr. Für Sven G. hat sich heute das Geschäft mit den Videos ganz erledigt. Vor Gericht sagte er nun: "Damit komme ich nicht klar, dass der da vor mir stand. Ich mache dicht."

Dem 33 Jahre alten Angeklagten wird vor dem Landgericht Potsdam vorgeworfen, im vergangenen Jahr erst den sechsjährigen Elias aus Potsdam und dann den vierjährigen Berliner Flüchtlingsjungen Mohamed entführt und ermordet zu haben. Mohamed soll er missbraucht haben, bei Elias soll er es versucht haben. Silvio S. hat sich im Prozess zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert. Jedoch legte er bei der Polizei nach seiner Festnahme ein Geständnis ab. (mit dpa)

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