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Landeshauptstadt: Singen, tanzen, ankommen

Zum Auftakt für die bundesweite „Interkulturelle Woche“ fordern Kirchen eine Willkommenskultur

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Er atmet tief ein, bevor er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme anfängt zu singen. „Straße, oh Straße“ heißt es in dem Lied, das Vadim Molotschko auf der Bühne in der Brandenburger Straße intoniert. Molotschko stammt aus Russland. Doch er singt auf Deutsch. Damit er die deutsche Sprache wieder lernt, sagt er.

Molotschko ist einer von rund 7000 Migranten, die in Potsdam leben. Er ist 66 Jahre alt und kommt aus Moskau. Seit zehn Jahren wohnt er in Deutschland. „Ich bin gekommen, weil mein Sohn hier lebt“, sagt er. Er habe sich sofort wohlgefühlt: „Es gefällt mir hier sehr, sehr gut!“ Nach seiner Schulzeit habe er fließend Deutsch gesprochen, „aber das ist lange her“, sagt er und lacht. „Wenn man keine Sprachpraxis hat, vergisst man alles.“ Seine Frau gehe daher zum Deutschkurs. Er selbst singe lieber. Daher ist Molotschko Mitglied der Gruppe „Singende Senioren“ der jüdischen Gemeinde.

Deren Sänger traten gemeinsam mit vielen anderen aus dem Ausland stammenden Potsdamern am gestrigen Freitag beim Straßenfest zur Eröffnung der bundesweiten „Interkulturellen Woche“ unter der Überschrift „Herzlich Willkommen - Wer immer du bist“ auf. Auf der Festmeile an der Brandenburger Straße tanzten Kinder aus Vietnam mit roten Fächern, Spanierinnen bewegten sich zu Flamenco-Klängen.

Für das Zusammenleben von Migranten und Deutschen sei es wichtig, „dass beide Seiten aufeinander zugehen“, sagt Heilgard Asmus, die Vorsitzende des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Hala Kindelberger, Vorsitzende des Potsdamer Migrantenbeirates, wirbt um Verständnis für die Situation der Migranten: „Irgendwie, irgendwo sind wir alle fremd – und irgendwie, irgendwo sind wir alle zu Hause.“ Schnell könnten auch Menschen aus Deutschland einmal fremd sein: „Schon wenn man in eine andere Region zieht, kann man sich so fühlen.“ Vadim Molotschko denkt gerne an seine Zeit in Russland zurück. „Ich war Chemieprofessor und habe gerne gelehrt“, sagt er. „Nur ich musste irgendwann aufhören. Dann bin ich nach Deutschland gegangen.“

Menschen wie Molotschko in Deutschland willkommen zu heißen, forderte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Markus Dröge, am Abend in seiner Predigt beim ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung der „Interkulturellen Woche“ in der Kirche St. Peter und Paul. „Wir brauchen eine Willkommenskultur.“ Rund 1200 Menschen seien in diesem Jahr auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommen, erinnerte Dröge: „Sie sind ertrunken, verhungert, verdurstet oder wurden Opfer der Naturgewalten.“ Der katholische Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki sagte, „jedem fällt es schwer seine Heimat zu verlassen. Gerade deshalb müssen wir Flüchtlinge mit dem Herzen und offenen Türen begrüßen“. Es gelte aufzustehen, „wenn Menschen in unserem Land bedroht oder in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden“, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU).

Sonja Radtke

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