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Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel bei der Präsentation der Hörproduktion „Geheime Sender“ in Babelsberg.

© A. Klaer

"Geheime Sender" im Rundfunkarchiv Babelsberg: Sketche und Talkshows gegen Hitler

Der mediale Widerstand gegen das NS-Regime machte kreativ: Jetzt wurde das Audio-Feature „Geheime Sender“ in Babelsberg vorgestellt.

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Ende 1944: Aus Millionen von Volksempfängern dringen die letzten Sätze von Hitlers „Rede zur Jahreswende“. Doch plötzlich ist noch eine andere Stimme zu hören, die wie von Ferne über dem Programm tönt: „Nieder mit Hitler und seiner Bande! Weg mit den Nazis!“ Es ist der Kommunist und spätere SED-Funktionär Anton Ackermann, der aus dem weit entfernten Moskauer Exil zu den deutschen Hörern spricht. Möglich machte es der deutschsprachige Auslandssender Radio Moskau, der für diese Störaktion kurzzeitig die Stärke des Lang- und Mittelwellen-Signals enorm erhöhte, um so das deutsche Programm zu überlagern.

Medialer Widerstand gegen die NS-Diktatur wie diese „Geisterstimmen“ war bis vor kurzem fast völlig vergessen. Hans Sarkowicz, Leiter von HR2-Kultur, hat die Geschichte der über 100 „Geheimen Sender“, die versuchten, während des Zweiten Weltkrieges die deutsche Bevölkerung abseits von Goebbelscher Propaganda mit Informationen zu versorgen, aufgearbeitet. Im Laufe von 30 Jahren hatte Sarkowicz kontinuierlich recherchiert, Interviews geführt und Originaldokumente gesammelt, um die Ergebnisse nun zu einem monumentalen, zehnstündigen Audio-Feature zusammenzufügen.

Am 3. Oktober wird die Acht-CD-Box „Geheime Sender – Der Rundfunk im Widerstand gegen Hitler“ erscheinen, am Mittwoch stellte Sarkowicz sie im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) in Babelsberg vor. Der Ort ist nicht zufällig gewählt, denn das DRA stellte zahlreiche Original-Dokumente für das Feature zur Verfügung. Viele der Live-Sendungen sind nur deshalb der Nachwelt erhalten geblieben, weil Privatpersonen oder Nazi-Behörden sie aufgenommen hatten, sagt DRA-Leiterin Angelika Hörth. „Entweder wurden sie von Hörern zu Hause auf Schallplatte mitgeschnitten oder sind durch die Beobachtung des deutschen Abhördienstes überliefert.“

Für Propaganda-Minister Joseph Goebbels war das Radio das wichtigste Instrument zur Beeinflussung der Massen, dementsprechend sah das NS-Regime für das verbotene Hören von „Feindsendern“ harte Strafen vor. „Vergessen sie nicht, die Frequenz umzustellen!“, lautete daher eine regelmäßige Ermahnung im Programm der „Stimme Amerikas“, damit kein ausländischer Sender ertönte, wenn der Blockwart am Sonntag Wohnung und Radio kontrollierte. Trotzdem habe kaum jemand darauf verzichtet, die Auslandssender zu hören, betont Sarkowicz.

Bernhard Vogel erinnert sich: „Wir haben die BBC vor allem abends gehört: Das Radio wurde so leise gemacht, dass man es gerade noch hören konnte und Kissen drumherum gelegt, damit es niemand mitbekam“, sagte der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen im Gespräch mit Sarkowicz. Der 1938 gestartete „Deutsche Dienst“ der BBC, über den Thomas Mann aus dem Exil insgesamt 58 Ansprachen an die Deutschen hielt, war unter allen Auslandssendern mit Abstand der meistgehörte. Auch andere Sender wie der hochkonspirativ arbeitende „Deutsche Freiheitssender 29,8“ aus Spanien hatten prominente Sprecher, Bertolt Brecht schrieb für ihn Satiren und Gedichte, darunter das berühmte „An die Nachgeborenen“. Zu den beliebtesten Beiträgen der Auslandssender gehörten Grüße von Kriegsgefangenen an ihre Angehörigen, die sogar tagsüber gesendet wurden.

Doch wie konnte man die Sender hören? Die Nationalsozialisten hatten den seit 1934 massenhaft hergestellten Volksempfänger wohlweislich nur mit Mittel- und Langwellen-Empfang ausgestattet, um das Empfangen ausländischer Programme über Kurzwelle einzuschränken, doch mit ein wenig Bastelei ließ sich aus dem Volks- ein Weltempfänger machen: „Und jetzt schrauben wir den Apparat auf und machen die Anschlüsse im Inneren“, tönt es scheppernd aus einer von der BBC gesendeten Anleitung. Selbst im KZ Buchenwald wurde dies gemacht, wo einige Häftlinge regelmäßig Radio Moskau gehört und dabei mitgeschrieben haben.

Das Programm bestand nicht nur aus Nachrichten, sondern war überaus bunt: Satirische Sketche und Umdichtungen deutscher Schlager gab es ebenso wie Reden, Hörspiele und Talkshows. Der erbitterte Widerstand gegen Hitler machte kreativ: „Das waren Laboratorien für neue Rundfunkformen“, betont Sarkowicz. Zum Beispiel arbeitete der beliebte britische Moderator Lindley Fraser in einem fingierten Interview mit dem Titel „Hitler gegen Hitler“ früh mit O-Tönen, indem er russlandfeindliche Aussagen Hitlers mit russlandfreundlichen Aussagen gegenüberstellte, die dieser vor dem Bruch des Nichtangriffspaktes geäußert hatte.

Auch wenn viele der Auslandssender in Kommentaren und Satiren über die Nazis ätzten, versuchten sie in Nachrichten bei den Fakten zu bleiben. Informationen über den Holocaust erwiesen sich jedoch als schwierig, denn: „Es gab große Bedenken, dass die deutschen Hörer das nicht glauben und für Gräuelmärchen halten könnten“, sagt Sarkowicz. „Man fragte sich: Machen wir uns unglaubwürdig, wenn wir die Wahrheit berichten?“

Trotz des Engagements der alliierten und russischen Radiomacher zieht Bernhard Vogel ein resigniertes Fazit: „Es hat zwar zu einer besseren Information geführt, aber nicht zur Destabilisierung des Nationalsozialismus.“ Sarkowicz sieht dies anders: „Die Sender haben einiges erreicht: Durch sie sind Soldaten übergelaufen und sie haben den Gegnern des NS-Systems Mut zugesprochen. Für viele deutsche Hörer war es ganz wichtig, wenn sie im Radio Reden von Thomas Mann, Albert Einstein, Franz Werfel oder Stefan Heym hörten und sahen, dass es noch ein anderes Deutschland gibt.“ Zudem sei durch die Auslandssender eine neue Generation von Journalisten herangewachsen: „Das war die Kinderstube der Medien der Nachkriegszeit“, so Sarkowicz.

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