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Homepage: „Sofort, unverzüglich“ Wie ein schlecht informierter

SED-Funktionär und ein ARD-Moderator die Berliner Mauer zum Fall brachten

Stand:

Ausgangspunkt der Ereignisse am 9. November 1989, die schließlich zum Fall der Mauer führten, ist eine internationale Pressekonferenz des Zentralkomitees der SED. Regierungssprecher Günter Schabowski trug dort die Regelungen einer neuen Ausreiseregelung vor, die ab 10. November ständige Ausreisen in den Westen und Besuchsreisen auf Antrag – ohne die bis dahin geforderten Voraussetzungen – ermöglichen sollte. Schabowski hatte die Unterlagen erst kurz vor der Pressekonferenz erhalten, entsprechend unsortiert liest er sie zum Ende der live im DDR-Fernsehen übertragenen Konferenz vom Zettel ab.

Als ein Journalist fragt, ab wann die Regelung in Kraft trete, ist Schabowski überrumpelt, die Frage war zuvor mit ihm nicht geklärt worden. Er kratzt sich am Kopf, blättert in den Papieren, überfliegt den Text, übersieht offensichtlich die Sperrfrist 10. November, die am Ende des Papiers vermerkt ist, und bleibt an den Wörtern „sofort“ und „unverzüglich“ hängen, die gleich am Anfang des Textes stehen. „Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich“, antwortet Schabowski ohne weitere Umschweife dem Journalisten und blättert erneut in den Papieren. Seine ZK-Genossin Helga Labs setzt leise „unverzüglich“ hinzu, woraufhin ZK-Mitglied Gerhard Beil ebenso leise sagt, dass dies aber der Ministerrat beschließen müsse. Auf die erneute Frage eines Journalisten, ob das auch in Berlin gelte, folgt Stimmengewirr.

Wenige Minuten später um 19.01 Uhr endete die Pressekonferenz. Bereits eine Minute darauf meldete die Presseagentur Reuters als Eilmeldung: „Ausreise über alle DDR-Grenzübergänge ab sofort möglich“. Um 19.05 Uhr geht die amerikanische Agentur AP einen entscheidenden Schritt weiter: Sie lässt alle Einschränkungen weg und titelt: „Grenzöffnung: DDR öffnet Grenzen“. Was die dpa noch übertrumpft, indem sie Schabowskis Ankündigung als bereits vollzogene Tatsache darstellt: „Die DDR-Grenze zur Bundesrepublik und nach West-Berlin ist offen.“

Die Tagesschau platziert die vermeintliche Grenzöffnung bereits als Top-Meldung. In der Folge versammeln sich immer mehr Ost-Berliner an den nach wie vor geschlossenen Grenzübergängen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. An der Bornholmer Straße hatten sich um 21.30 Uhr rund 120 Personen versammelt. Dort hat allerdings niemand die Anweisung, die Grenze zu öffnen. An den meisten anderen Grenzposten bleibt es noch ruhig. Doch der ins Rollen gebrachte Stein ist nicht mehr aufzuhalten: Mittlerweile begrüßte die US-Regierung bereits die Öffnung der Grenzen. Und um 22.42 Uhr bringt Tagesthemen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs schließlich alle Dämme zum Brechen, indem er die Öffnung der Grenzübergänge vorwegnimmt: „Dieser 9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore der Mauer stehen weit offen.“ Dass man nur Bilder von zu der Zeit noch geschlossenen Grenzübergängen hatte, übergingen die ARD-Journalisten, indem sie Augenzeugen interviewten, die davon berichteten, dass an der Bornholmer Straße Menschen die Grenze passieren würden. Nun schwoll der Zustrom an die Grenzposten an. Gegen 23 Uhr waren bereits Zehntausende an der Bornholmer Straße versammelt. Erst jetzt begann jener Ansturm auf die Grenzübergänge, der die Grenzbeamten schließlich dazu zwang, die Tore tatsächlich zu öffnen. Jan Kixmüller

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