Potsdam: Solidarität von Yoko Ono und Tocotronic
Die Potsdamerin Emely Neu hat ein Buch über Pussy Riot produziert. Sie konnte für dieses Unternehmen viele bekannte Stars gewinnen.
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Gerade mal 41 Sekunden dauerte der Auftritt, dessen Folgen die russische Punkband Pussy Riot 2012 in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte: Für das kirchen- und regierungskritische „Punk-Gebet“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale wurden drei Mitglieder des feministischen Kollektivs zu jeweils zwei Jahren Straflager verurteilt, was international Proteste hervorgerufen hatte. Viele bekannte Künstler wie Paul McCartney oder Madonna haben seitdem ihre Solidarität mit den Inhaftierten bekundet.
Jüngstes Beispiel für diese internationale Unterstützung ist das Buch „Let’s Start A Pussy Riot!“, das von der gebürtigen Potsdamerin Emely Neu in Zusammenarbeit mit Pussy Riot zusammengestellt wurde: Über neun Monate hinweg sammelte die Performance-Künstlerin etliche Beiträge zu Themen wie Politaktivismus, Lesbischwule Rechte, Redefreiheit und Feminismus und konnte dabei bekannte Persönlichkeiten wie Yoko Ono, Antony Hegarty, Sänger der Band Antony And The Johnsons, die feministische Künstlerin Judy Chicago, Kim Gordon, Sängerin der Band Sonic Youth, oder Tocotronic für das Projekt gewinnen. Neben Texten von und über Pussy Riot beinhaltet der Band zahlreiche Interviews, Fotos, Gedichte, Zeichnungen, Essays und Comics von insgesamt 69 Künstlern. Alle Einnahmen aus den Verkäufen werden an Pussy Riot und deren Angehörige gespendet.
Der Prozess und die öffentliche Kontroverse um Pussy Riot seien für sie ein Generationsmoment gewesen, sagt Neu über die Entstehung des Buches: „Dieser Fall wirft einfach unglaublich viele Fragen auf.“ Seit 2009 lebt Neu in London, wo sie unter anderem Musikjournalismus studierte. Kurz nach der Verhaftung der drei Musikerinnen im März 2012 schlug Neu drei feministischen Kollektiven aus London vor, eine Spendenaktion für die Band zu veranstalten. Das Ergebnis war ein Festival sowie ein Blog namens „Let’s Start A Pussy Riot!“, der zur Grundlage für das gleichnamige Buch wurde: „Viele Leute hatten uns sehr kreative Arbeiten für den Blog zugeschickt“, sagt Neu.
Für das Buch sollten jedoch noch mehr Beiträge gesammelt werden, also klemmte sich Neu hinter den Computer und versuchte sowohl namhafte als auch unbekannte Künstler zu kontaktieren, die etwas zu dem Thema zu sagen hatten. „Das hat wirklich die meiste Zeit gedauert, denn von den meisten hatten wir ja keinerlei Kontakte“, erinnert sich Neu. „Ich habe viele Nächte am Computer verbracht, nur um herauszufinden, wie ich an diese Künstler rankomme.“ Auch mit Pussy Riot nahm sie Kontakt auf, die sofort begeistert von dem Projekt waren. Involviert in die Produktion war auch Band-Mitglied Jekaterina Samuzewitsch, die vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Mit ihr diskutierte Neu häufig via Internet über das Projekt und tauschte Texte aus. Vorgestellt wurde das Buch am 14. Juni auf dem von Yoko Ono veranstalteten Meltdown-Festival in London.
Für die 25-jährige Neu waren die zahlreichen Gespräche und Interviews, die sie im Rahmen ihrer Arbeit führte, nichts Ungewohntes: „Ich bin schon als Sechsjährige einfach in Parks gegangen, und habe irgendwelche Leute interviewt. Später habe ich auch öfter mal die Videokamera meiner Mutter geklaut“, erzählt sie. Als Jugendliche spielte Neu zeitweise eine der Hauptrollen in der Fernsehserie „Schloss Einstein“, mit 17 Jahren begann sie beim Potsdamer Uni-Fernsehen Xenon Bands zu interviewen. Dabei entwickelte Neu ihren ganz eigenen Stil – das „performative Interview“: „Ich habe zum Beispiel Bands interviewt, während diese mir ins Gesicht malten oder andere kreative Aufgaben erfüllen mussten. Mittlerweile geht es viel mehr in Richtung Theater inklusive von Brecht inspiriertem, fiktivem Chor, der das Ganze zu einer Dreieckskonversation werden lässt.“
Mit feministischen Themen kam Neu schon früh in Berührung, später begann sie sich stärker mit Feminismus und Aktivismus zu beschäftigen, auch beeinflusst durch ihre Familie: „Meine Eltern haben mich immer dazu ermutigt, mich gesellschaftlich zu engagieren.“
„Let’s Start A Pussy Riot“ ist das erste Buch, das Neu gemacht hat. Obwohl die inhaltliche Vielfalt beeindruckend ist, gab es auch viele Künstler, an die sie nicht herangekommen ist: „Wir haben zum Beispiel auch Lady Gaga angeschrieben“, verrät Neu. Bis auf Tocotronic und Emil Schult – Cover-Designer für die Band Kraftwerk – gibt es auffällig wenig deutsche Teilnehmer. „Ja das stimmt", sagt Neu, „aber mir sind auch nicht so viele Personen mit einer Botschaft eingefallen, die etwas zu dem Thema zu sagen hatten“.
Ein Beitrag, der Neu besonders berührt hat, sind die Zeichnungen der fünfjährigen Gera – die Tochter der inhaftierten Nadeschda Tolokonnikowa. „Das wirft noch mal ein ganz anderes Licht auf die Sache“, sagt Neu. „Schließlich geht es hier um ein Kind, das von seiner Mutter getrennt ist.“
Neu will mit „Let’s Start A Pussy Riot!“ nicht zu etwas Bestimmten aufrufen: „Ich wünsche mir einfach Reaktionen, egal welche“, sagt sie. „Das Buch soll zeigen, dass wir viele Dinge wie Redefreiheit für zu selbstverständlich halten.“ Nur 2000 Exemplare des Buches wurden gedruckt, eine deutsche Übersetzung wird es vermutlich nicht geben. Kaufen kann man es entweder über die Webseite des Projekts oder in unabhängigen Buchläden – in Potsdam zum Beispiel im Literaturladen Wist in der Brandenburger Straße.
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