Landeshauptstadt: Sonntags wurde selektiert
Werner Bab spricht erst seit drei Jahren über seine Zeit im Konzentrationslager
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136857 – seit 64 Jahren sind die Ziffern in seinen Unterarm tätowiert. Kaum jemand hat Werner Bab bisher danach gefragt. Lediglich einige Kinder, die wissen wollten, ob die Zahlenreihe eine Telefonnummer sei. Und Werner Bab wollte wohl auch nicht darüber sprechen. Er habe die drei Jahre in den Konzentrationslagern Auschwitz, Mauthausen, Melk und Ebensee „absolut verdrängt“, sagt er, genauso wie den Todesmarsch im Januar 1945 ins tschechische Pleß: „Ich habe mir gesagt, wenn ich weiter daran denke, kann ich nicht mehr in Deutschland leben.“ Und woanders habe sich der „Treudeutsche“ nie wohl gefühlt. Und nun erzählt der Berliner doch, sitzt im Klassenraum in der Waldorfschule in der Erich-Weinert-Straße vor rund 40 Schülern und spricht. Denn vor drei Jahren lernte der heute 82-Jährige den Studenten Christian Ender im jüdischen Museum kennen. Der drehte einen Dokumentarfilm über den Kreuzberger Autohändler und KZ-Überlebenden. Seitdem seien seine „Albträume nachts wieder schlimmer als je zuvor“. Trotzdem spricht Bab nun über die Vergangenheit: Er will aufklären. Fast im Plauderton – so als erzählte ein Großvater seinen Enkeln Jugenderinnerungen. Dabei redet er über eines der schlimmsten Menschheitsverbrechen, über den Holocaust. Der bekommt für die Zuhörer plötzlich ein Gesicht.
Zuerst das des Schuljungen Werner, der in den Pausen von den anderen geschlagen wird, weil er als Jude nicht zur Hitlerjugend gehört. Ein Kind, das bedauert, wenn „die Jungs in Uniformen“ vorbeikommen, dass es „nicht dabei sein darf“. Nachdem 1935 deutschen Juden der öffentliche Schulbesuch untersagt wird, zieht Bab nach Stettin in ein jüdisches Internat. Doch in der Reichskristallnacht im November 1938 brennt auch die Stettiner Synagoge ab. „Wir waren auch da und haben zugesehen“, erzählt Bab: „Halb Stettin war da.“ Als er am nächsten Tag in der Schule erscheint, sind die Lehrer verschwunden. Und der 14-jährige Bab kehrt zurück nach Berlin, zu seinem Vater. Seine Eltern hatten sich 1933 getrennt. Die Mutter war bereits nach China geflohen. „Shanghai hat damals 20 000 Juden aufgenommen“, erzählt er. Aber seine Mutter habe „nur zwei Passagen“ ergattern können – für sich und seine Schwester. Werner Bab muss vorerst in Berlin bleiben. Dort stehen zu diesem Zeitpunkt schon überall Schilder: „Für Juden verboten!“Und auf einmal wird Babs Stimme lauter, der Ton schärfer: „Vor dem Restaurant stand: für Juden verboten! An der Bank stand: für Juden verboten! Kino: für Juden verboten.“ Sie durften nicht verreisen, Busse und Bahnen nur für den Weg zur Arbeit und zurück benutzen, sagt Bab. Er habe damals mit rund 300 jüdischen Zwangsarbeitern in einer Kunstharz-Fabrik gearbeitet. „Jeden Tag wurden es weniger“, erzählt er den Waldorfschülern: „Aber das hat niemanden interessiert, die Leute fanden das normal.“ Das sei es, was er nicht verstehe. Aus den „Arbeitslagern im Osten“ kamen „niemals Postkarten“, aber niemand hat nach den Verschwundenen gefragt – offenbar in ganz Europa nicht. Denn die Menschen kamen von überall her – aus Athen, Paris, Warschau. Und der Einsatz der Züge mit den Gefangenentransporten, die von dort aus nach Auschwitz fuhren, könne doch auch nicht nur ein einziger geplant haben.
Werner Bab kommt nicht mit einem dieser Massentransporte nach Auschwitz. Mit 18 versucht er in die Schweiz zu fliehen, wird an der Grenze „geschnappt“ und verhaftet – wegen des Verstoßes gegen die Judengesetze. Als so genannter Schutzhäftling wird er ins KZ eingewiesen. Dieser Schutzhaftbefehl rettet ihm im Lager das Leben: Der dürre Junge steht bereits auf der Liste der Kranken und Schwachen, die die beiden Blockführer jede Woche erstellen. „Als ich da war, wurde sonntags immer noch selektiert“, erklärt Bab. Dass er nicht in den Gastod geschickt wird, liegt daran, dass das Reichsicherheitshauptamt in Berlin die „Hinrichtung“ eines Schutzhäftlings genehmigen muss. Die Auschwitzer Lagerangestellten trauen sich jedoch nicht, am Sonntag dort anzurufen. Dennoch habe Bab nie geglaubt, Auschwitz zu überleben. „Ihr könnt euch das nicht vorstellen“, sagt er zu den Mädchen und Jungen, spricht vom Geruch nach verbrannten Menschenfleisch, von inhaftierten Kindern, vom Hunger, von Toten, die herumliegen, von den Strukturen im Lager: „So ein Lager mit 100 000 Gefangenen musste ja verwaltet werden.“ Mit Marschmusik ziehen die Insassen jeden Morgen in Blöcken zur Arbeit – der Baublock etwa, dessen 400 Männer und Frauen zum Beispiel die Unterkünfte für die KZ-Angestellten errichten. Denn so in Reih und Glied marschierend sind die Häftlinge besser zu zählen. Und „der Bestand musste stimmen“, so Bab: „Darum mussten wir die Toten auch immer wieder mitbringen.“ Trotzdem verzählen sich die Angestellten öfter und die Gefangenen müssen warten – manchmal bis zu vier Stunden.
Doch dann hat Bab Glück im Unglück, erhält eine Aufgabe, bei der regelmäßig „eine Schnitte und auch mal Margarine und Jagdwurst“ für ihn abfallen: Er darf auf die Hunde des SS-Angestellten aufpassen, ihre Villen putzen. Er räumt nach ihren Partys in direkter Nachbarschaft zum Todeslager die leeren Flaschen weg. „Das waren Menschen wie Du und ich – mit Familien, Kindern, nur dass sie eben auch viel gemordet haben“.
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