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Landeshauptstadt: Sorowitschs Seele

In Babelsberg werden seit einem Monat Szenen für den Film „Der Fälscher“ gedreht – in einem nachgebauten KZ

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Sie sind mager, aber leiden keinen Hunger. Sie tragen alte Hemden, Hosen und Schuhe, aber keine Lumpen. Und sie dürfen ihre Haare wachsen lassen. Wer frisch aus der Hölle kommt, trägt Glatze. Deshalb werden die Haare immer kürzer dieser Tage in Babelsberg.

Acht Baracken sind es, die auf dem Sandboden neben den backsteinernen Orenstein & Koppel-Lokhallen stehen. Das Holz ist grau gestrichen, an den Giebeln prangen Nummern. Ein dicklicher Mann in grüner SS-Uniform steht in der Sonne. Es ist der 1. Mai 1944 an diesem Drehtag am Set des Films „Der Fälscher“.

Seit knapp einem Monat arbeitet die Crew um Stefan Ruzowitzky hier, den österreichischen Regisseur, der mit Jeans und Polohemd durch sein Luxus-KZ läuft. Dieser Film, so wird er später sagen, ist für ihn eine „Schicksalsfügung“. Er erzählt die Geschichte von Salomon Sorowitsch, einem Kleinkriminellen, einem Juden, einem Überlebenskünstler, der auch das KZ überlebt. Denn er tut das, was er am besten kann. Für die Nazis fälscht er Geld, britische Pfundnoten, und Pässe. Sie wollen die britische Wirtschaft schwächen, brauchen Devisen. Sorowitsch ist die Schlüsselfigur.

Ruzowitzsky hat sie erschaffen, er schrieb auch das Drehbuch für „Der Fälscher“, basierend auf den Erinnerungen von Adolf Burger. Er ist einer der letzten Zeugen des „Unternehmen Bernhard“ – wie es nach dem Vornamen des Fälscherchefs, SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger, genannt wurde – im KZ Sachsenhausen. Burger hat darüber einen Tatsachenbericht geschrieben: „Des Teufels Werkstatt“. In den Ausführungen des gelernten Setzers und Druckers, der 1942 nach Auschwitz verschleppt wurde, findet sich auch das Vorbild für Ruzowitzkys Sorowitsch, seinen ersten Anti-Helden nach Filmen wie „Die Siebtelbauern“ und „Anatomie 1 & 2“.

Dieser Sorowitsch setzt am 1. Mai 1944 in der Dunkelkammer der Fälscherwerkstatt ein gequältes Lächeln auf. Es ist Szene 44, Klappe die erste. Mit bloßem Oberkörper sitzt Kolja da, ein Junge, sein dunkles Haar klebt verschwitzt am Kopf. Doktor Klinger hört ihn ab. Von Koljas Krankheit darf keiner wissen, nicht einmal der Junge selbst. Wer TBC hat, wird im KZ erschossen. Also setzt Sorowitsch ein halbes Lächeln auf. Für Kolja.

Stefan Ruzowitzky hat sich Karl Markovics ausgesucht als Hauptdarsteller. Ein Österreicher wie er, mit einem Gesicht schmal und kantig. Einem, das bekannt vor kommt. Aus den TV-Krimiserien „Kommissar Rex“ und aus „Stockinger“. Markovics ist keiner der „üblichen Verdächtigen“ für einen KZ-Film, sagt Ruzowitzky. Er ist einer mit „Pokerface“, mit dieser bestimmten Wirkung auf Frauen. Das Ensemble um Markovics hat der Regisseur sorgfältig zusammengestellt: August Diehl („Der Neunte Tag“) ist Adolf Burger, schon damals ein Idealist; Devid Striesow („Der Rote Kakadu) spielt den Nazi-Karrieristen Herzog, August Zirner den inhaftierten Arzt Doktor Klinger „mit großbürgerlichem Ansatz“. Zwei, drei andere angefragte Schauspieler sagten ab. „Sie wollten sich keine Glatze schneiden lassen“, sagt Ruzowitzky. Doch Kahlkopf-Perücken lehnt er ab, Authentizität muss sein. Für die Maske hat der Regisseur deshalb den Polen Waldemar Pokromski gewonnen. Der 59-Jährige war für seine Arbeit in Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ für den Oscar nominiert, er drehte „Der Pianist“ mit Roman Polanski und „Das Parfüm“ mit Tom Tykwer. Gelernt hat er sein Handwerk in den Babelsberger Defa-Studios, sein erster Film war 1973 „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Und so, wie Pokromski bei „Schindlers Liste“ dafür gesorgt hat, dass „die Frauen nicht mit Lippenstift durchs Ghetto laufen, weil die Amis immer alles ein bisschen verschönern“, sorgt er nun für die Haare der Fälscher. Danach richtet sich der Drehplan: Die Szenen, in denen Sorowitsch und weitere Häftlinge aus anderen KZs in die Fälscherwerkstatt kommen, werden zuletzt gedreht. Bis dahin werden die Haare jeden Tag ein Stück kürzer geschoren.

Die Glatzen sind der einzige Schrecken, den Ruzowitzky in „Der Fälscher“ ganz unmittelbar zeigen will: „Den KZ-Alltag würde ich mich nie trauen.“ Die Fälscherwerkstatt nennt der Regisseur eine „groteske Ferienlager-Version“ eines Konzentrationslagers – die Inhaftierten bekommen gut zu essen, werden mit Musik berieselt, man bringt ihnen eine Tischtennisplatte, alle sechs Wochen finden Tanzabende statt. Gekämpft wird nicht mehr ums Überleben. Sondern um die eigene Seele. „Idealismus gegen Pragmatismus“, das ist Ruzowitzkys Thema, er macht es am Anti-Helden Sorowitsch fest. Der passt sich an, verbiegt sich, hat „allen Idealen abgeschworen“ und nichts übrig für Fragen, wie sie der Idealist Adolf Burger wohl stellen wird: „Darf man genießen, wenn draußen die Leute verhungern?“. Ruzowitzky gibt eine Antwort, die zu seinem Sorowitsch passt: „Ich werde den Nazis nicht die Freude machen, mich zu schämen, dass ich lebe.“ So stellen sich mit der Geschichte der Fälscher für den Regisseur auch „universelle Fragen“, spiegelt sie heutige Konflikte wider: „Darf ich in der Karibik Urlaub machen und Austern essen, wenn gar nicht weit weg Leute fast verhungern?“ Zivilcourage ist ein anderes Stichwort für Rutzowitzky. Es spielte eine Rolle, als die Erinnerungen von Adolf Burger wie eine „Schicksalsfügung“ auf seinem Schreibtisch landeten – gleich zwei Produktionsfirmen schlugen ihm zufälligerweise nahezu gleichzeitig vor, aus dem Tatsachenbericht einen Film zu machen.

Diese beiden Firmen, Aichholzer Filmproduktion aus Wien und magnolia aus Hamburg, haben sich dann für die rund vier Millionen Euro teure Produktion zusammen getan. Studio Babelsberg Motion Pictures beteiligt sich als Ko-Produzent mit 250 000 Euro, das Medienboard Berlin-Brandenburg als einer von sieben Förderern mit 500 000 Euro; auch deshalb wird nach Wien und Monte Carlo gut zwanzig Tage in Babelsberg gedreht: Der Ko-Produzent bekam den Auftrag für Bau und Ausstattung. In nur acht Wochen zimmerten bis zu 45 Mitarbeiter des Babelsberger Art Departments bei Minustemperaturen und Schneefall aus 100 Kubikmetern Holz und 20 Kubikmetern Rüstung die zwei 40 Meter langen und zehn Meter breiten KZ-Baracken der Fälscherwerkstatt. Die sechs weiteren Bauten gruppieren sich darum. Nicht nur Zeitdruck und Wetter stellten Construction Manager Dierk Grahlow und seine Kollegen vor Herausforderungen: Für „Der Fälscher“ müssen die Kulissen von innen und außen authentisch aussehen, gefilmt wird überall. „Das ist selten“, sagt Grahlow.

Selbst in der Frühlingssonne wirken die grauen Bauten bedrückend, die gusseisernen Maschinen in Papierwerkstatt und Druckerei wie Folterinstrumente. In der Sortiererei liegen die britischen Pfundnoten stapelweise im gleißenden Licht. Täuschend, beängstigend echt. August Zirner, der Arzt Klinger, erinnert sich an eine Drehszene, „in der wir von der SS aus dem Schlafsaal getrieben werden“. Es ist Nacht, die Nazis brüllen: „Raus aus den Betten, ihr Scheiß-Juden.“ Als er mit seinem Schauspiel-Kollegen Lenn Kudrjawizki dann zwischen den Baracken stand, „da sind wir beide ziemlich bleich geworden“.

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