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Landeshauptstadt: Soziale Strategie

Unterschicht-Debatte: Stadt will Kita-Recht auch für Arbeitslose / Projekte gegen „Bildungsaversionen“

Stand:

Auch arbeitslose Eltern sollen das Recht haben, ihre Kinder unter drei Jahren in einer Kita betreuen zu lassen. Außerdem müsse es an jeder der 41 Potsdamer Schulen einen Schulsozialarbeiter geben – bisher hat die Stadt nur acht. Diese an das Land Brandenburg gerichteten Forderungen stellte gestern Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller (parteilos). Vor dem Hintergrund der bundesweiten Debatte um eine „neue Unterschicht“ erläuterte Müller in einem Pressegespräch Strategien, mit denen die Stadt die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen verbessern will. Dabei gehe es vor allem darum, ein „Hereinwachsen“ in die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen wie Hartz IV zu verhindern. Zudem soll der Schutz der Kinder vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung verstärkt werden. In Potsdam leben nach Angaben der Stadt derzeit 3486 Kinder und Jugendliche im Alter bis 15 Jahre von Hartz IV.

Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut beginne bereits in der Kita, sagte Sozialbeigeordnete Müller. Denn dort werde Bildung vermittelt, und diese sei „ein wesentlicher Punkt, Armut zu durchbrechen“. Deshalb wolle sie, dass künftig auch arbeitslose Eltern Anspruch auf einen Kita-Platz für Kinder bis drei Jahren haben – bisher können Arbeitslose ihr Kind erst ab dem Alter von drei Jahren betreuen lassen. Wichtig sei der Kita-Besuch aus zwei Gründen: Um Kinder vor Vernachlässigung zu schützen, müsse den Eltern geholfen werden, die „viel zu weit weggerutscht“ seien und „nicht so viel in die Erziehung investieren können“ – und über die Kitas könne man die Mütter und Väter erreichen. Außerdem seien Kinder am besten geschützt, wenn Erzieher sie „jeden Tag sehen“. Initiativen für ein kostenfreies letztes Kita-Jahr lehnt Müller jedoch ab. Dies würde Potsdam rund eine Million Euro kosten, „und dieses Geld könnte besser eingesetzt werden, zum Beispiel in das Frühwarnsystem zum Kindeswohl“. Bisher werden 2013 und damit rund die Hälfte aller Potsdamer Kinder unter drei Jahren in Kitas betreut. Bei den Drei- bis Sechsjährigen gehen 94 Prozent aller Kinder in die Kita – nur 71 nicht.

Im vergangenen Jahr habe es 100 so genannte „Kinderschutzfälle“ gegeben, sagte gestern Jugendamtsleiter Norbert Schweers. 200 Kinder seien in Heimen unter gebracht, 60 in Pflegefamilien – bei 15 Prozent von ihnen sei eine „akute Gefährdung“ die Ursache, so Schweers. In jüngster Zeit habe sich zudem die Zahl der anonymen Hinweise auf Kindesmisshandlung verdoppelt: „Von zehn Hinweisen ergibt im Durchschnitt einer eine akute Gefahr, doch wir gehen jedem nach.“ Generell gehe die Zahl der vernachlässigten und misshandelten Kinder in Potsdam aber zurück, so der Jugendamtsleiter: „Wir haben ein gutes präventives Netz.“ Dies soll Ende des Jahres noch enger werden – denn alle Kita-Träger müssen dann ein Verfahren für den Umgang mit Kindesvernachlässigung bei der Stadt vorlegen.

Verbesserungen soll es ebenfalls für Schüler geben. Geplant sei eine Kooperation von Paga, Arbeitsagentur, Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Schulen und Jugendamt, um ein so genanntes „Übergangsmonitoring“ zu schaffen, sagte Paga-Chef Frank Thomann. Die Verträge dafür würden nächste Woche unterzeichnet. Grund ist die Lücke zwischen Schule und Arbeit: „Wer seinen Hauptschulabschluss nicht bekommt, verschwindet bisher einfach.“ Künftig sollen Schüler schon in der Schule besser betreut werden – und in Projekten Bildung wieder schmackhaft gemacht bekommen. „Viele Schüler haben geradezu Bildungsaversionen, sie bekommen eine Gänsehaut, wenn sie eine Schultafel sehen.“

In Potsdam haben 506 von insgesamt 20 100 Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren derzeit keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Diese Zahl sei 2005 noch doppelt so hoch gewesen, so Paga-Chef Thomann. Rund 2500 Jugendliche werden im Programm „Step by Step“ der Paga betreut mit dem Ziel, einen Arbeitsplatz für sie zu finden.

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