Von Jan Kixmüller: Spiel mit dem Zuschauer
Drei Studentenfilme der HFF auf der Berlinale / Studentenfilmtage „Sehsüchte“ Anfang Mai in Potsdam
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Der Film hat etwas Unterschwelliges. Eine Bedrohung, die sich durch diese kurze, eigentlich recht simple Story schleicht, immer da ist, kurz hervorbricht, dann wieder Ruhe gibt – aber weiter lauert. Am 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens will sich Esteban selbst befreien. Von der Abhängigkeit von seiner Ex-Frau, von seiner Geliebten, von seinem Sohn, der ihn nicht für voll nimmt. Draußen wird gefeiert, Esteban spricht mit seiner ehemaligen Frau, mit seinem Sohn, seiner Geliebten. Ohne dabei wirklich weiter zu kommen. Dazwischen blitzen kurze Bilder aus einer surrealen Welt auf, Nahaufnahmen von Haut, Haaren, Blut, ein Schnitt, dann Himmel, Gemäuer, Überbelichtung.
Die Filmstudentin Josephine Frydetzki hat den 22-minütigen Kurzfilm „Digame“ („Sag mir“) für die Potsdamer Filmhochschule HFF und Arte in Argentinien gedreht. Nun läuft er zusammen mit dem ebenfalls in Südamerika entstandenen Film „Chica XX Mujer“ (Regie: Isabell uba) auf der 61. Berlinale (10.-20. Februar). „Digame“ ist in der Reihe Perspektive Deutscher Film zu sehen, auf der schon in den vergangenen Jahren zahlreiche erfolgversprechende Studentenfilme aus Potsdam gezeigt wurden. Entstanden ist der Film anlässlich eines HFF-Projektes im Frühjahr 2010. Sechs Studententeams waren nach Mittel- und Südamerika gereist, um dort Filme über Unabhängigkeit und Revolution zu drehen – unter künstlerischer Leitung des Regisseurs Andreas Kleinert.
Esteban streift also am Unabhängigkeitstag durch Buenos Aires. Er arbeitet an seiner eigenen Unabhängigkeit, versucht seinen Sohn für sich zu gewinnen. Ohne Erfolg. Dann spricht er eine Frau am Bahnhof an und schleppt sie ab. War ich gut fragt er sie hinterher. Beim Sex zu schnell, beim Ansprechen zu langsam, erhält er als Antwort. Der Film spielt mit den Wahrnehmungen der Zuschauer. Denn die Frau ist keine Fremde, vielmehr ist sie Estebans Geliebte, die Szene am Bahnhof war nur ein Spiel. Sie will ein Kind von ihm, mit ihm zusammen leben, er aber nicht. Hier endet auch diese Verbindung. Schließlich wird Esteban ausgerechnet das Geld, das ihm seine Ex-Frau zusteckt, zum Verhängnis. Er steigt in ein Taxi, etwas stimmt nicht. Die subtile Bedrohung bricht plötzlich wieder durch, ein Donner grollt am dunklen Himmel, eine grelle Überblendung, ein neuer Tag, Hunde spielen unter einem klaren, blauen Himmel im Staub, springen um einen leblos am Boden liegenden Körper herum. Die verschiedenen Fäden dieser Geschichte muss der Zuschauer nun selbst zusammen bringen.
Die 1984 bei Leipzig geborene Regisseurin Josephine Frydetzki hat auch das Drehbuch zu „Digame“ geschrieben. Seit 2006 studiert sie an der HFF Regie. Sie hat bereits zwölf Kurzfilme gedreht, wovon einer den Max-Ophüls-Filmpreis erhielt. Ihre Kommilitonin Isabell uba hat ebenfalls an dem Südamerika-Projekt der HFF teilgenommen. Auch ihr Film „Chica XX Mujer“ ist auf der Berlinale zu sehen, in der Reihe Generation 14plus. Die 1981 in Berlin geborene Absolventin der Potsdamer HFF begleitet in dem Kurzfilm (12 Minuten) Mädchen in Venezuela auf ihrem Weg zum Frausein – im Land der weltweit meisten Schönheitsoperationen kein einfacher Weg.
Der dritte Berlinale-Film der HFF, „Sunday Menu“ von HFF-Studentin Liesl Nguyen, ist als Vorfilm (24 Minuten) von „Meshi To Otome“ in der Reihe kulinarisches Kino zu sehen. Angesiedelt am tristen Stadtrand Berlins wirft der fiktive Kurzfilm einen poetischen Blick auf die Gefühlswelt einer jungen Deutsch-Vietnamesin und die Konflikte zwischen Generationen und Kulturen. Verbindung dazu sind die Rituale des Essens. Die drei Filme von HFF-Studierenden sind allerdings nicht die einzigen Filme mit HFF-Bezug auf der Berlinale. In fast allen Sektionen sind Filme von ehemaligen Potsdamer Filmstudenten vertreten.
Wer es nun nicht schaffen sollte, die HFF auf der Berlinale zu erleben, bekommt Anfang Mai in Potsdam wieder die Möglichkeit ausgiebig Studentenfilme zu sehen. Vom 2. bis 8. Mai findet zum 40. Mal das Potsdamer Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ statt. Wie schon in den vergangenen Jahren werden die „Sehsüchte“ in den Thalia-Kinos und der HFF laufen. Der „Fokus“ liegt dieses Jahr auf dem Filmland Türkei. Europas größtes internationales Studentenfilmfestival wird alljährlich in Eigenregie von Studierenden der HFF organisiert.
Bereits jetzt stehen erste Jurymitglieder für die „Sehsüchte“ fest. Für die Spielfilmjury konnte Peter R. Adam gewonnen werden, der Cutter von Filmen wie „Good Bye, Lenin!“ und „Mein Führer“ war. Den Preis für den besten Dokumentarfilm wird der Kameramann Wolfgang Thaler („Am Limit“, „Hundstage“) gemeinsam mit dem Produzenten und Regisseur Axel Engstfeld und Klaus Wildenhahn vergeben, einem der wichtigsten Dokumentarfilmer des 20. Jahrhunderts.
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