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Stasi-Beauftrage on Tour: Mit Jugendlichen aus dem Land Brandenburg, alle nach dem Mauerfall geboren, fuhr Ulrike Poppe (Mitte) am Tag des Mauerbaus den ehemaligen Grenzverlauf zwischen Potsdam und Teltow ab.

© tor

Landeshauptstadt: Spurensuche auf zwei Rädern

Mit Jugendlichen erkundete Stasi-Beauftragte Ulrike Poppe den Mauerradweg

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Wie aus dem Nichts tauchen die fünf Mauersegmente am Ende des Schotterwegs auf. Wenige Meter vom Ufer des Griebnitzsees in der Potsdamer Stubenrauchstraße entfernt, versperren die Betonteile die Sicht über das Wasser. Unwillkürlich suchen die Augen einen Blick am Hindernis vorbei, ohne Erfolg. „Das war das Verrückte“, sagt Ulrike Poppe, als sie ihr Fahrrad einige Meter vor der Gedenkstätte zum Stehen bringt. „Plötzlich ist der Blick versperrt. Das Schlimme war, dass wir schon anfingen, uns langsam daran zu gewöhnen.“

Anlässlich des 50. Jahrestages des Baus der Berliner Mauer hatte die Stasi-Beauftragte des Landes Brandenburg, Ulrike Poppe, am Samstag gemeinsam mit dem Landesjugendring und der Potsdamer Stiftung „Großes Waisenhaus“ 13 Jugendliche zu einer Radtour entlang des Mauerstreifens eingeladen. Unter dem Titel „Bei Flucht wurde geschossen!“ begaben sich die Schüler – alle erst nach dem Fall der Mauer geboren – auf Spurensuche. Am Bahnhof Griebnitzsee gestartet, führte Poppe die Jugendlichen aus Senftenberg, Nauen oder Lübbenau entlang der einstigen Grenze über Steinstücken bis nach Kleinmachnow und Teltow. Begleitet wurde der Tross von einer Fotografin. Die entstandenen Bilder sollen Teil einer Ausstellung zum Thema werden.

Der 16-Jährige Paul Schlorf war schon nach den ersten hundert Metern der 15 Kilometer langen Tour beeindruckt. „Man kann sich kaum vorstellen, dass hier eine Mauer gebaut wurde.“ Hinter dem Bahnhof Griebnitzsee begann das Sperrgebiet mit den dahinterliegenden Grenzanlagen aus Stacheldraht und Beton. Mit einem Kopfschütteln quittiert der 16-Jährige ein graues Foto der Grenze. „Es ist beeindruckend, dass Menschen hier das Risiko eingingen, zu fliehen“, sagt Schlorf. „Ich weiß nicht, ob ich es getan hätte.“

Ein großer Teil der Aufnahmen, die die Schüler zu sehen bekamen, stammt von Matthias Hoffmann. Als junger Mann hatte er sich in Westberlin mit der Kamera aufgemacht, die Mauer zu dokumentieren. „Ich bin buchstäblich mit den Fingern an der gesamten Mauer entlang geschrubbelt“, sagte er. Zwischen 1984 und 1987 sind über 500 Bilder entstanden. „Wenn man die Orte heute besucht, kann man sich nicht vorstellen, wie es hier zu Zeiten der deutschen Teilung aussah.“

Immer wieder machten die Schüler auf ihrer Tour Halt, um Eindrücke zu sammeln. Mit roten Rosen gedachten sie den Menschen, die bei ihrem Fluchtversuch im Kugelhagel ihr Leben verloren oder im Grenzwasser ertranken. Als um Punkt zwölf Uhr in Berlin die Kirchenglocken zu läuten begannen, stoppten auch die Radfahrer für eine Schweigeminute.

Wie viel Eifer die DDR-Führung in den Ausbau ihrer Grenze steckte, verdeutlichte die Ausstellung an der ehemaligen Grenzübergangsstelle Checkpoint Bravo in Kleinmachnow: Mit Röntgengeräten und Gammastrahlenkanonen suchten die Grenzer hier nach versteckten Flüchtlingen. Unvorstellbar für den 17-jährigen Daniel Friedrich aus Lübbenau: „Es ist irre“, kommentierte er knapp. „Da sieht man, dass das System nicht funktioniert haben kann, wenn es seine Bewohner einsperren musste.“ Tobias Reichelt

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