zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Station des Leidenswegs

Mitglieder der Widerstandsgruppe Saefkow- Jacob-Bästlein saßen in der Lindenstraße 54 ein

Stand:

Innenstadt - Auf dem Weg vom Untersuchungsgefängnis zum Landgericht in der Kaiser-Wilhelm-Straße (Hegelallee), wo ihn ein Hochverratsprozess erwartete, gelang es Paul Hirsch, seine Bewacher zu überlisten und zu fliehen. Der Werkzeugmacher, dem als Mitglied der Widerstandsgruppe Saefkow-Jacob-Bästlein die Todesstrafe drohte, versteckte sich und lief im Frühjahr 1945 schließlich zur Roten Armee über. Allerdings starb er bereits kurz nach Kriegsende an den Folgen seiner Haft.

Hirschs tragisches Schicksal schilderten in der von der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 veranstalteten Reihe „Menschen unter Diktaturen“ Bärbel Schindler-Saefkow, Tochter von Anton Saefkow, und Annette Neumann, Tochter des ebenfalls der Gruppe angehörenden Antifaschisten Erwin Freyer. Die beiden Historikerinnen erforschen seit Jahren den Weg der größten illegalen Widerstandsorganisation der Arbeiterbewegung im Zweiten Weltkrieg, von der bisher 425 Personen bekannt sind. Der Leidensweg der 284 Mitglieder, die nach der Enttarnung der Gruppe im Juli 1944 verhaftet wurden, führte in vielen Fällen nach Potsdam. Hier fanden zum großen Teil die Verhöre durch eine Sonderkommission der Gestapo statt, die ihren Sitz wahrscheinlich im Gerichtsgefängnis Lindenstraße hatte. Orte dafür können aber auch eine Gestapo-Außenstelle in der Priesterstraße (Hennig-von-Tresckow-Straße) und für Militärangehörige das Wehrmachtsgefängnis in der (heute nicht mehr existierenden) Garde-du-Corps-Straße gewesen sein.

Wie Paul Hirsch wurden die Häftlinge dann zu Fuß zum Prozess ins Landgericht in der Kaiser-Wilhelm-Straße gebracht. Dort hatte sich nach mehrfacher Bombardierung seines Sitzes in Berlin der so genannte Volksgerichtshof zunächst in Teilen, in den letzten Kriegsmonaten dann vollständig eingenistet. Er verhängte gegen 63 Mitglieder der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe Todesurteile, die im Zuchthaus Brandenburg vollstreckt wurden. Andere kamen in der Haft oder in Konzentrationslagern um, so dass die Gesamtzahl der Opfer nach den Ermittlungen der beiden Historikerinnen auf 104 steigt. Bärbel Schindler-Saefkow und Annette Neumann setzen ihre Forschungen fort und wollen über deren Ergebnisse im Sommer 2009 eine Dokumentation vorlegen und eine Ausstellung zeigen. In Berlin haben sie damit begonnen, für 50 bisher noch nie gewürdigte Opfer so genannte Stolpersteine zum Gedenken anzulegen.

Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe bestand zu 50 Prozent aus Kommunisten, ihr gehörten aber auch Sozialdemokraten und Intellektuelle an. Sie gründete in Berlin und seinem Umland 74 illegale Betriebsgruppen, organisierte Sabotageakte in der Rüstungsindustrie, entwarf und verteilte Flugblätter, hielt durch Feldpostbriefe Kontakte zu deutschen Frontsoldaten, versteckte und versorgte jüdische Familien und unterstützte ausländische Zwangsarbeiter. Sie strebte den Sturz der nationalsozialistischen Diktatur und die Beendigung des Krieges an und entwickelte darüber hinaus erste Konzepte für ein Deutschland nach Hitler, so durch den dann ebenfalls in Brandenburg hingerichteten Lehniner Arzt Johannes Kreiselmaier für die Gesundheitspolitik. Von historischer Bedeutung war ein Treffen von Saefkow und Jacob mit den Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein, um über gemeinsame Widerstandsaktionen zu beraten. Zu einer Fortsetzung kam es nicht mehr, da der von der Gestapo als Spitzel angeworbene ehemalige KPD-Funktionär Ernst Rambow die Widerständler verriet und so die Verhaftungswelle auslöste.

Aus dem Publikum wurde mit verstecktem Vorwurf begrüßt, dass mit dem Vortrag der beiden Historikerinnen in der Reihe „Menschen unter Diktaturen“ einmal nicht Opfer des stalinistischen Nachkriegsterrors, sondern antifaschistische Widerstandskämpfer der Arbeiterbewegung gewürdigt wurden. In der Dauerausstellung der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55, erwiderte darauf Kuratorin Gabriele Schnell, würden alle mit dem Haus verbundenen historischen Ereignisse dargestellt. Für die Zeit des Nationalsozialismus sei ein weiterer Ausbau der Ausstellung vorgesehen. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })