
© Andreas Klaer
Potsdam und Berlin: Streit um Jodtabletten für Atom-Ernstfall
Potsdam wollte Pillen ab September ausgeben, Berlin und Brandenburg halten das aber für nicht zulässig
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Babelsberg - Die geplante Versorgung der Babelsberger mit Jodtabletten für den Atom-Ernstfall steht auf der Kippe: Eigentlich sollten Anwohner, die im vier Kilometer-Radius um den Forschungsreaktor des Berliner Helmholtz-Zentrums in Wannsee leben, sich ab dem 1. September erstmals präventiv mit Jod bevorraten können. Gegen Vorlage des Personalausweises hätten die Tabletten in der Hauptwache der Berufsfeuerwehr abgeholt werden können. Jetzt aber haben das Landesgesundheitsministerium, die Apothekenkammer Brandenburg und der Berliner Senat Zweifel an dem Plan angemeldet.
Die vorsorgliche Ausgabe der Tabletten werde erneut geprüft, teilte Stadtsprecher Thomas Joerdens gestern mit. Joerdens bestätigte, dass es rechtliche Bedenken gebe. Deshalb sei ein Arbeitstreffen mit Mitarbeitern der Verwaltung und des Ministeriums sowie weiteren Experten geplant. Am morgigen Donnerstag soll das Thema zudem im Umweltausschuss besprochen werden. Bis dahin werde sich die Stadt nicht äußern. Das Landesgesundheitsministerium verweist indes auf die Verordnung zur Abgabe der Jodtabletten des Bundes. Darin sei eine vorsorgliche Ausgabe nicht vorgesehen.
In der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt ist Sprecherin Marie-Luise Dittmar deutlicher: Die vorsorgliche Ausgabe mache keinen Sinn. „Es ist Aufgabe der Behörden, für Ruhe zu sorgen und keine Unruhe zu stiften.“ Berlin werde am Katastrophenschutzplan festhalten und die Tabletten nur im Ernstfall verteilen. Nur so könne man sicherstellen, dass alle versorgt werden. „Die Tabletten müssen kühl und trocken gelagert werden. Sind Sie sich sicher, dass Sie das Päckchen noch finden, wenn Sie es brauchen?“, fragte Dittmar.
Die Apothekerkammer Brandenburg verweist auf das Merkblatt der Strahlenschutzkommission. Demnach sind Jodtabletten – wenn überhaupt – nur nach ausdrücklicher behördlicher Aufforderung einzunehmen. Es sei „nutzlos und sogar schädlich“, eine Jodblockade ohne Aufforderung durchzuführen. Zu groß sei das Risiko von Nebenwirkungen. „Apotheker raten von der Einnahme auf eigene Faust ausdrücklich ab.“ Wer auf Jod überempfindlich reagiere oder eine Schilddrüsenüberfunktion habe, sollte generell verzichten.
In Potsdam sind 600 000 Jodtabletten auf Lager. Sie liegen in den Schränken von Feuerwehr und Katastrophenschutz. Im Ernstfall können sie Schilddrüsenkrebs verhindern und Leben schützen. Ausschließlich im Katastrophenfall sollen die Tabletten von Feuerwehr und Taxifahrern vor Hauseingängen in der Vier-Kilometer-Zone um den Reaktor abgelegt werden. Dagegen hatten Anwohner in Babelsberg protestiert. Sie wollten sich präventiv versorgen, so wie es in der Schweiz oder Österreich möglich ist.
Bei der Bürgerinitiative „Evakuierungsgebiet Babelsberg“ hatte man sich auf die Ausgabe bereits eingestellt, berichtete Georg Bitcher. „Es besteht ein dringender Handlungsbedarf. Auch Kindergärten und Schulen sollten ein Tablettendepot anlegen“, so Bitcher. „Spätestens vier Stunden nach Austreten der radioaktiven Wolke müssen die Tabletten eingenommen werden. Da tickt der Wecker.“
Der Atomkritiker und Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, kann die Bedenken der Behörden nicht nachvollziehen. „Es ist ein Problem, im Ernstfall die Tabletten rechtzeitig an den Mann zu bringen“, sagt er. Menschen, denen die Vorsorge wichtig sei, sollte die Möglichkeit eingeräumt werden. Würden sie ausreichend informiert, sei das Risiko von Nebenwirkungen klein: „Pickel, Hitzewallungen oder Herzrasen bei Einigen stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den man verhindern kann.“
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