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Landeshauptstadt: Stühle mit malerischen Rostflecken

Fabriktonnen zu Kaffeetafeln, Zahnarztschränke zu Wohnzimmervitrinen: Das Potsdamer Unternehmen „Trouvé“ macht aus ausgedienten Industrieeinrichtungen Design-Möbel

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Fabrikhallen, Krankenhäuser oder alte Manufakturen – das sind die Orte, an denen die Möbel des Potsdamer Industriedesign-Händlers „Trouvé“ früher einmal standen und ihren Zweck erfüllten. Alte Lederturnmatten werden hier zu Sitzbänken, ehemalige Zahnarztschränke zu Wohnzimmervitrinen und riesige Industrietonnen von 1900 zu Couchtischen. Die Ladenbesitzer Susanne Reetz und Jochen Sauer treiben die Stücke aus manchmal abenteuerlichen Quellen auf und lassen sie dann von erfahrenen Tischlern oder Metallverarbeitern nach ihren Vorstellungen umarbeiten.

Passend zu seinem Angebot befindet sich das Geschäft in einer ehemaligen Schmiede mit Backsteinwänden und schlanken Metallsäulen. Sauer betreibt Trouvé – französisch für „finden“ – seit September 2011 in Potsdam gemeinsam mit seiner Frau in der Jägerstraße 30. Der gebürtige Bremer, der seit fünf Jahren in Potsdam lebt, war früher eigentlich Lehrer und kam eher durch Zufall auf seinen heutigen Beruf: „Als Student saß man in seiner Wohnung quasi auf Kisten“, erinnert sich der 57-Jährige. „Aber in meinem Studienort Braunschweig gab es damals eine große Flohmarktszene, wo ich öfters mit Freunden Möbel besorgte. Damit ging es los.“ Schnell entwickelte sich Sauer selbst zum Antiquitäten-Händler und stieg Ende der Achtzigerjahre schließlich ganz in die Branche ein.

Irgendwann begann er, selbst Möbel zu entwerfen und richtete Arztpraxen und Anwaltskanzleien ein. Bei Urlaubsreisen durch Frankreich und Belgien stießen Reetz und Sauer immer wieder auf interessante Einzelstücke, zum Beispiel einen alten Schlachtertresen. Daraus ein Geschäft zu machen, kam damals aber noch nicht infrage: „Vor 30 Jahren war die Zeit dafür noch nicht reif“, sagt Sauer.

Bis heute reisen die beiden regelmäßig durch Frankreich und Belgien, um bei Messen, Antiquitäten-Händlern oder Flohmärkten nach „neuen“ Stücken zu suchen. Heute verfügen Reetz und Sauer über ein großes Netz von Kontakten, über die sie ihre Stücke beziehen: „Wenn irgendwo ein alter Industriekomplex abgerissen wird, dann werden wir angeschrieben, ob wir Interesse an etwas von dort habe“.

Manchmal stoßen sie aber auch durch Zufall auf alte Schätze: „Als wir einmal in Südfrankreich unterwegs waren, haben wir in einer Stadt eine alte verschlossene Fabrikanlage entdeckt. Wir bekamen die Möglichkeit hineinzusehen, und fanden sehr interessante Lampen und Arbeitsanrichten. Irgendwann wurde das Gebäude verkauft und wir konnten etwas vom Inventar erwerben.“

Mit Ehrfurcht müssen die hochbetagten Gegenstände bei Trouvé keineswegs behandelt werden. Sauer selbst drückt die Tür eines Spindes geräuschvoll zu: „Die sind robust, das halten die aus.“ Die alten Stühle, Tische, Lampen, Schränke und anderen Einrichtungsgegenstände können und sollen gekauft und benutzt werden. Alle funktionieren nach wie vor, wurden aufgearbeitet, restauriert und teilweise neu lackiert. Die meisten besitzen noch alle Gebrauchsspuren ihres langen Lebens, die den einzigartigen Charakter der Stücke ausmachen: Französische Metallstühle in stumpf gewordenen Pastellfarben mit malerischen Rostflecken, riesige Deckenlampen, die einst große Fabrikhallen ausleuchten mussten, oder vernarbte Werkbänke mit alten Lackspritzern, Schrammen, Stößen und anderen Spuren der Arbeit.

„Mich reizt die Atmosphäre dieser Gegenstände“, begründet Sauer seine Faszination für altes Industriedesign. „Sie können uns viele Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählen.“ Schon immer hätte ihn die Kombination aus Alt und Modern interessiert, so Sauer, etwa, als er einmal ein kleines Wasserkraftwerk in ein Wohnhaus umgestaltet und dabei alte Instrumente der Anlage miteingearbeitet habe.

Die Kundschaft von Trouvé ist bunt gemischt: Architekten gibt es ebenso wie junge Familien mit Kindern, die zum Beispiel alte Metallkisten als Behälter für die Legosteine der Kinder kaufen: „Die sind robust und gehen nicht kaputt, wenn Kinder sie mal umstoßen“, sagt Sauer. Viele der Gegenstände haben aber auch ihre frühere Funktion behalten, zum Beispiel ein alter Metallspind: Groß, düster und sachlich steht die Konstruktion aus gewelltem Stahlblech mit den Luftlöchern in den Türen da und weckt Erinnerungen an Arbeiter vergangener Zeiten, die diese Türen tagtäglich auf- und zuschepperten. Gefertigt wurde er in den Zwanzigerjahren von der Firma Strafor in Straßburg, verrät Sauer: „Diese Schränke wurden früher oft im Militärbereich eingesetzt. Im Prinzip waren sie sogar Vorläufer von Ikea.“ Sauer weist auf vier Schrauben an der Decke des Möbels hin: Der Boden und die Decke ließen sich mit wenigen Handgriffen von den Wänden lösen. „So konnte man die Schränke simpel transportieren.“ Sogar ins Museum hat dieses Modells es geschafft: 2011 stand ein solcher Schank in der Ausstellung „Prototypen der Moderne“ im Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien.

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