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Landeshauptstadt: Suche nach der Mutter

Therapeutin Constanze Contudo bietet Gesprächsgruppen für erwachsene Adoptierte an – auch sie ist adoptiert worden

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Bei vielen Arztbesuchen ist es eine Standardfrage: „Hat es in Ihrer Familie Vorerkrankungen gegeben?“ Ein solch alltäglicher Satz, der für die meisten Menschen kein besonderes Problem darstellt, löste bei Constanze Contudo lange Zeit Unbehagen aus. Die 42-jährige Potsdamerin wusste fast ihr halbes Leben nicht, wer ihre Eltern waren. „Da wusste ich nie, was ich dem Arzt antworten sollte“, sagt Contudo, „soll ich ihm das jetzt alles erzählen oder sagen, dass ich es nicht weiß – aber das wäre auch komisch gewesen“. Ähnlich sei es, wenn sie davon höre, wenn Menschen ihren kranken Eltern Blut spenden würden: „Und ich weiß: Bei mir geht das nicht.“

Es sind nur einige Beispiele, die zeigen, vor welchen Problemen viele Adoptierte auch im Erwachsenenalter häufig stehen; sowohl im Alltag als auch in ihrem Seelenleben. Etwa 4500 Kinder und Jugendliche werden laut dem Statistischen Bundesamt jährlich in Deutschland adoptiert, in Brandenburg waren es 101 im Jahr 2011. Contudo, die selbst als Kind adoptiert wurde, bietet als Heilpraktikerin für Psychotherapie schon seit Jahren Gesprächgruppen für verschiedene Problemfelder an. Nun startet sie erstmals eine Jahres-Gruppe für erwachsene Adoptierte, in der sich maximal acht Betroffene monatlich austauschen und über ihre Erfahrungen berichten können.

Contudo, die zwei Kinder und eine Pflegetochter hat, kennt viele der Schwierigkeiten gut, mit denen Adoptierte im Laufe ihres Lebens zu kämpfen haben, wenngleich sie betont, dass ihre eigene Biografie nicht den „typischen Adoptiv-Lebenslauf“ darstelle. Wann genau sie adoptiert wurde, hat Contudo nie erfahren, auch an den Zeitpunkt der Erkenntnis, dass ihre Eltern gar nicht ihre leiblichen waren, kann sie sich nur vage erinnern: „Ich glaube, zuerst habe ich es durch Bemerkungen von Nachbarskindern gemerkt.“

Sie habe es zunächst gut gehabt: Ein Lehrer-Ehepaar, das keine Kinder bekommen konnte, hatte sie aufgenommen, drei Jahre danach adoptierten sie noch ein Mädchen. Contudos Adoptivmutter starb jedoch, als sie sechs war. Ihr Vater holte eine Pflegemutter in die Familie, mit der sich das Mädchen gut verstand. Doch das Wissen um ihre Adoption belastete sie: „Die anderen Kinder werden geliebt, einfach nur weil sie da sind; ich hatte immer das Gefühl, ich müsste mir die Liebe verdienen.“ Mit ihrem Vater über ihre leibliche Mutter zu sprechen, war fast unmöglich: „Es war ein großes Tabu“, sagt Contudo, „es gab immer den unterschwelligen Vorwurf: Du hast hier doch alles, was du brauchst, und wenn du danach fragst, ist das undankbar und verletzend“. Bei vielen Eltern gebe es die meist unbegründete Angst, dass das Adoptivkind vielleicht zu seinen leiblichen Eltern zurückwolle, wenn es sie kennenlernen würde, sagt Contudo.

In ihrer bisherigen Erfahrung hatte Contudo zu ihrer Pflegemutter die stärkste Bindung aufgebaut. Mit zehn Jahren wurde sie jedoch auch von ihr getrennt, denn nachdem sich ihr Adoptivvater auf einer Dienstreise in eine Frau verliebt hatte, war er mit seinen Kindern von Thüringen nach Potsdam gezogen. Zudem hätten ihr Vater und seine neue Frau ihr den Kontakt zur Pflegemutter verboten, sagt Contudo: „Das war am schlimmsten – ab da habe ich mich in mich selbst zurückgezogen und nur noch im Kopf gelebt. Ich war völlig abgetrennt von meinen Gefühlen, aber nach außen habe ich perfekt funktioniert und Bestnoten in der Schule geschrieben.“ Eine Bindung zu der neuen Frau aufzubauen, war nicht mehr möglich: „Im Prinzip hatte ich vier Mütter, aber ich fühlte mich nach diesem Trennungstrauma mutterseelenallein.“

Dazu kam, dass Contudo mit niemandem über ihr Problem sprechen konnte, „denn man kennt ja sonst keinen, der auch adoptiert ist“. Das änderte sich erst, nachdem sie bei verschiedenen Ausbildungen andere Adoptierte kennenlernte. Dazu zählte auch ihre Kommilitonin Maria Wedel*, mit der sie an der Fachhochschule Potsdam Sozialpädagogik studierte. „Man sollte seinem Kind auf die Frage, wer seine richtigen Eltern seien, antworten, sobald sie gestellt wird, also etwa mit drei Jahren“, sagt die 30-jährige Berlinerin. Ihre Adoptiv-Eltern hatten sie bei ihrer Suche nach ihren leiblichen Eltern unterstützt, mit 18 lernte sie sie kennen. „Dann merkt man, dass das Leben ganz anders hätte verlaufen können, wenn man nicht zur Adoption freigegeben worden wäre. In meinem Fall wäre es eher schlechter verlaufen.“

Constanze Contudo hatte diese Unterstützung nicht, erst 2005 traf sie zum ersten Mal ihre leibliche Mutter, nach ihrem Vater forscht sie immer noch. Ein solches Treffen sei für fast alle Adoptierte wichtig, sagt Contudo. Denn viele, auch sie, würden sich in der Jugend, wo man sich mit seinen Eltern reibt, in Gedanken ein viel besseres Leben in der Herkunftsfamilie ausmalen. „Erst nach dem Treffen konnte ich dieses Märchenschloss loslassen. Ich bin plötzlich sehr dankbar geworden für all die Chancen, die mir mein Adoptivvater ermöglicht hat und die ich höchstwahrscheinlich in meiner Herkunftsfamilie nicht bekommen hätte“, sagt Contudo. Mütter, die sich entscheiden, ihr Kind zur Adoption freizugeben, hätten sich vorher meist gegen eine Abtreibung entschieden. So auch Contudos Mutter. Viele Adoptierte, auch Maria Wedel, hegen deshalb trotz allem Wertschätzung für ihre leiblichen Eltern: „Eine Adoption ist tausendmal besser als Schwangerschaftsabbruch, denn sonst säßen wir nicht hier.“

* Name von der Redaktion geändert

Mehr im Internet unter

www.selbstheilungsaktivierung-sha.de

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