
© Julius Frick
Homepage: Teamgeist wie beim Fußball
In der Wissenschaftsetage trafen sich 100 Nachwuchsforscher, um ihre Promotionsthemen auszutauschen
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„Hi, ich bin Jenny und promoviere zu DNA-Strahlenschädigungen“, sagt die junge Frau zu ihrer Partnerin gegenüber. „Ah, cool, wodurch werden diese Schäden denn verursacht?“, lautet die Gegenfrage. Die Antwort überrascht ein wenig: In diesem Fall nicht durch starke, sondern durch schwache Strahlen. Im obersten Stockwerk des Bildungsforums stehen sich an diesem Donnerstagmorgen über 100 junge Doktoranden der Universität Potsdam gegenüber. „Science-Speed-Dating“ lautet der Auftrag: Sie haben jeweils nur 60 Sekunden, um ihren Zufallspartnern zu erklären, woran sie gerade arbeiten. Oft geht es um den Klimawandel, aber auch um Sprache und Mikrobiologie. Der Saal über den Dächern der Innenstadt ist gefüllt vom Durcheinander der vielen Stimmen. Sprachfetzen gehen durch den Raum: „eine Herausforderung, unter dem Einfluss von, wie Sprache verarbeitet wird, eine komplexe Sicht, eine enorme Datenflut, total spannend“
Rund 1700 Promovierende gibt es an der Potsdamer Uni, etwa 1100 promovieren im Vier-Jahreszyklus. Die naturwissenschaftlichen Fächer sind dabei etwas stärker vertreten, aber auch aus den anderen Disziplinen kommen spannende Themen. Mit 57 Prozent ist der Anteil der Frauen unter den Promovierenden etwas höher als der der Männer. Was sich dann in der folgenden wissenschaftlichen Karriere allerdings wieder ins Gegenteil verkehrt, wie Heike Küchmeister von der Potsdam-Graduate-School erklärt. Zu viele Frauen würden von einer wissenschaftlichen Laufbahn wegen der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie absehen. Der Weg in die Wissenschaft ist allgemein recht steinig, oft nur über befristete Verträge und mit vielen Ortswechseln möglich. Das macht es gerade für Frauen, die nach der Promotion Kinder bekommen möchten, schwierig. An der Graduate-School gibt es daher nun gezielte Programme, um Frauen doch zu dem Schritt in die Wissenschaft zu ermutigen.
„Die Doktoranden sind der Wissenschaftsmotor der Universität“, sagt der Sprecher der Graduate-School, Florian Jeltsch. Zum „PhDay“ am Donnerstag hat man sie in der Wissenschaftsetage, in der sich die Graduate-School seit Februar befindet, zusammengeholt, um den Austausch untereinander zu fördern. Was mit den Speed-Dates vortrefflich funktioniert. Christine verfolgt einen philosophischen Ansatz zum Thema Klimaschutz. Das Thema sei zu komplex für einen einheitlichen Lösungsweg, vielmehr bedürfe es vielerlei Ansätze. Ihre Speed-Date-Partnerin findet das gut: „Das klingt sehr politisch“, so ihr Urteil. Andere beschäftigen sich mit der Vergangenheit des Erdklimas, um herauszufinden, was der Klimawandel alles bewirken kann. Janin untersucht am Geoforschungszentrum (GFZ) Mikroorganismen im Sediment eines 3,6 Millionen Jahre alten Kratersees. Ihr Kollege Tobias geht noch weiter zurück: 50 bis 100 Millionen Jahre blickt er in die Vergangenheit zurück, um herauszufinden, welche Wechselwirkungen zwischen der Erdatmosphäre und den Ozeanen bestehen. „Auch dazu, um die heutigen Klimamodelle zu testen“, erklärt er.
Andere Promovierende beschäftigen sich mit Störungen der Sprache, etwa der Lese-Rechtschreibschwäche. Oder sie arbeiten an Systemen, die per Infrarotmessung analysieren, wohin man genau blickt, wenn man auf Computermonitore schaut. Die Politikwissenschaftlerin Ina, die am Nachmittag in einem Workshop ihr Projekt vorstellt, steht noch ganz am Anfang ihrer Promotion. Sie vergleicht die Auswirkung der Migrationspolitik von Deutschland und Norwegen. Sie geht davon aus, dass die Unterschiede sehr groß sind. Aber das muss sie erst mit ihrer Forschungsarbeit belegen. Die Promovierenden stecken meist mitten in der Forschungsphase, Pläne für die Zukunft sind da noch eher selten. Was sie nach der Promotion machen will, fragt ein junger Teilnehmer seine Speed-Date-Partnerin. Die hält die Hand vor den Mund und flüstert ihm zu, dass sie das noch gar nicht wisse.
Über den eigenen Tellerrand schauen, das war eines der Ziele des Doktoranden-Treffens. Der Sprecher der Graduate-School, Florian Jeltsch, nahm die laufende Fußballweltmeisterschaft zum Anlass, die Situation der Promovierenden mit dem Profi-Fußball zu vergleichen. Von dem Teamgeist der Fußballer könnte auch die Wissenschaft etwas lernen: Austausch, gegenseitige Aufmunterung und Lob zum Beispiel. Wie im Fußball gebe es auch an der Graduate-School Trainer, hier Betreuer genannt, die allerdings nicht so schnell gefeuert werden könnten wie Fußballtrainer. Auch Fouls gebe es in der Forschung, sagte Jeltsch mit Blick auf mögliche Plagiate: „Dafür gibt es dann die Gelbe oder die Rote Karte.“ Und: „Wie im Fußball geben auch wir alles.“ Franz Beckenbauer habe zu seinen besten Zeiten 15 Monate am Stück trainiert. „So fühlen sie sich sicher auch manchmal“, sagte der Doktoranden-Coach. Und noch eine Ähnlichkeit zwischen Fußball und Forschung gebe es: die oftmals sehr spezielle, um die Ecke gedachte Ausdrucksweise. Jeltsch zitiert Beckenbauer: „Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser“, und Pierre Littbarski: „Wenn wir so weitermachen, können wir vielleicht auch da wieder anknüpfen, wo wir eigentlich hinwollen“. „Darüber kann man tatsächlich länger nachdenken“, sagte Jeltsch mit einem Augenzwinkern. Das gehe schon ins Philosophische.
Letztendlich fand das Treffen der Doktoranden auch statt, um die Arbeit der Promovierenden, die viel zu oft gar nicht gesehen werde, zu würdigen. „Ihre Leistung ist das, was die Forschung der Universität ausmacht“, sagte Florian Jeltsch. Zur weiteren Vertiefung des Teamgeistes sollte am Abend noch ein gemeinsames Musikstück komponiert werden. Zeit dafür gab es ja, schließlich ruhte der Teamgeist der WM-Kicker an diesem spielfreien Abend.
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