
© dpa
Homepage: Tödliche Exklusivität
Der Psychologe Carlo Strenger findet Religion sinnlos und zerstörerisch. Ein Gespräch im Einstein Forum
Stand:
Trotz der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen in Ägypten vermutet Susan Neiman, dass sich die politische Lage dort längerfristig positiv entwickelt. „Die Opposition ist sehr gebildet, nachdenklich und geduldig. Deshalb besteht die Möglichkeit, dass sie sich gegen konservative Kräfte durchsetzen kann“, hofft die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums. Anfang April war sie in Ägypten und hat sich bei Gesprächen mit Politikern und Intellektuellen ein Bild von der Lage gemacht.
Auch in Bezug auf Israel schätzt sie die Lage verhalten positiv ein. Neiman denkt, dass sich die israelischen Politiker dem Aufbruch in Nahost nicht entziehen können. US-Präsident Barack Obama habe deshalb bei seinem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in zwei Wochen beste Chancen, nachdrücklich auf eine Verständigung zwischen den verhärteten Fronten der Palästinenser und der Israelis zu drängen.
Jüngst wurden bei Zusammenstößen in Kairo zwölf Menschen getötet und mehr als 220 verletzt. Ausgangspunkt war die Vermutung strenger Islamisten, dass koptische Christen eine islamische Konvertitin gegen ihren Willen in einer Kirche festhalten würden. Der Konflikt zwischen Christen und Moslems in Ägypten ist nur ein Beispiel für den religiösen Hintergrund vor dem der „arabische Frühling“ stattfindet. Wie sehr die Religionen Judentum, Christentum und der Islam die gegenwärtige Entwicklung in Arabien und Nordafrika prägen, beleuchtete am Montagabend der Psychologe Carlo Strenger bei seinem Vortrag über den „Kampf der Monotheismen“ im Einstein Forum.
„Ich bin ein Antitheist und säkularer Humanist“, erklärte Strenger. In den Auseinandersetzungen in Israel und Ägypten sieht er einen destruktiven „Wettbewerb der Religionen“. Dieser fände in Jerusalem auf der kleinen Fläche des Tempelberges einen herausragenden Fokus. Entsprechend dem alten Testament bauten die Israeliten dort ungefähr 950 vor Christus ihren ersten Tempel. Dieser hatte für das Judentum bis zu seiner Zerstörung im Jahre 70 nach Christus eine herausragende Bedeutung. Der Islam verehrt den Berg als drittheiligste Stätte und Ausgangspunkt einer wichtigen Reise Mohammeds. Christen sehen ihn als Stätte, an der Jesus entschieden Stellung gegen die Verbindung von Religion und Geschäftemacherei bezog. Das Bewusstsein um die religiöse Bedeutung des Ortes sei bei allen Auseinandersetzung im Nahen Osten präsent. Weil jede der monotheistischen abrahamitischen Religionen für sich Ausschließlichkeit beanspruche, sei ein friedliches Miteinander in Israel schwierig. Die Auseinandersetzung der Religionen präge die ganze Region. „Die seelische Wirklichkeit der Menschen im Nahen Osten fußt auf etlichen mythologischen und religiösen Schichten“, erläuterte Strenger.
Das sei allerdings auch aus existenphilosophischer Sicht interessant. Im Unterschied zu Tieren wisse der Mensch zwar um seine Sterblichkeit, könne sich mit diesem Wissen aber nur schwer abfinden. Die Religionen würden einen Ausweg bieten, indem sie Unsterblichkeit verhießen und diese teilweise sogar auf Körper und Seele beziehen würden. Auf diesem exklusiven Versprechen der Unsterblichkeit würden die einander ausschließenden Sinnsysteme aufbauen. Deshalb seien Menschen bereit, Morde zu begehen, um die eigene Religion zu bestätigen.
Strenger erinnerte daran, dass der Gedanke, Menschenleben um eines immateriellen Zieles Willen zu opfern, dem Westen auch nicht fremd sei. Die Aussicht auf überzeitlichen Ruhm habe Menschen in zwei Weltkriege ziehen lassen und auch „säkulare Religionen“ wie Nationalsozialismus und Stalinismus beflügelt. Vom westfälischen Frieden bis zur europäischen Union sei es ein langer Weg gewesen. Und die Auseinandersetzungen im Kosovo hätten gezeigt, dass es auch in Europas politischer Struktur noch deutliche Risse gebe.
„Wie kann sich der Nahe Osten aus dem Griff eines eifernden, sein Recht fordernden Gottes befreien“, fragte Strenger. Weder bei der palästinensischen Hamas noch bei konservativen Juden vermag er Kompromissbereitschaft zu erkennen. Einen Ausweg biete vielleicht die viel geschmähte Globalisierung. Wegen der stark verbesserten Kommunikationswege sei praktisch jede Information sofort weltweit verfügbar. Daher sei es auch für eine noch so verbohrte Glaubensgemeinschaft schwer, sich vollständig abzuschotten. So könne die Einsicht an Boden gewinnen, dass ein Kampf der Religionen letztlich nur Verlierer produziere.
„Nur ein verbindliches Universalsystem das von aufgeklärtem Selbstinteresse getragen wird, sichert das Überleben aller“, so Strenger. Brücken zwischen Religionen und Denksystemen hätten letztlich nicht die Theologen, sondern die Kaufleute gebaut. „Beim Handel geht es nicht um Sinn, sondern um den ökonomischen Vorteil“, kommentierte Neiman. Da könne die Sinnsuche dann auch schon einmal zurückstehen, legte Strenger nahe. Neiman gab zu bedenken, dass eine rein materialistische Betrachtungsweise einen entschlossenen Sinnsucher nicht überzeugen würde.
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: