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Von Michael Meyer: Torgefährliche Spielgestalterin

Simone Römhold kam 17-jährig aus Halle an die Havel, reifte bei Turbine Potsdam zu einer der technisch besten DDR-Fußballerinnen, half als Simone Thomas beim Bundesliga-Klassenerhalt und war als Simone Diestel Spielertrainerin einer Männer-Dorfmannschaft

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An ihre erste Reise zu Turbine Potsdam kann sich Simone Diestel noch ganz genau erinnern: „Das war im Februar 1983, und der Bus von Halle nach Potsdam hat an 167 Stationen gehalten. Ich habe die damals alle mitgezählt.“ Damals hatte die 17-jährige Simone Römhold, bis dahin Mittelstürmerin Motor Halles, dem Werben des Potsdamer Trainers Bernd Schröder nachgegeben. „Während eines Hallenturniers im Dezember davor in Schwarzenberg, dem damals größten in der DDR, hat er mich bei einem Gespräch auf der Herrentoilette zum Wechsel zu Turbine überredet“, erinnert sie sich. Schröder, der sich schon zwei Jahre zuvor um das Talent bemüht hatte, erklärt mit langem zeitlichen Abstand heute, warum er es unbedingt in seine Mannschaft holen wollte. „Ich habe schon damals Fußballerinnen aus der mitteldeutschen Region geschätzt. Aus Sachsen-Anhalt kamen immer Spielerinnen zu uns, die den unbedingten Willen zum Siegen hatten. Außerdem war Simone eine Fußballerin, die bei uns auch technisch und läuferisch sofort in Mittelfeld und Angriff eingesetzt werden konnte.“

Also kam Simone Römhold mitten in der Saison von der Saale an die Havel, wo sie in den folgenden Jahren zu einer der technisch besten DDR-Fußballerinnen reifte. Sabine Seidel, in jener Zeit bereits Torjägerin und Star der Turbine-Elf, holte die junge Spielerin gemeinsam mit dem damaligen Co-Trainer Günter Rüdiger am Bassinplatz ab. „Sie sind mit mir erst einmal zum Mittagessen ins Minsk gefahren, und dort gab es als Willkommen einen Aperitif – das war mein erster Alkohol. Als ich danach zum Training in die Waldstadt kam, war Schröder natürlich außer sich. Aber ich durfte bleiben, und bin anschließend zunächst immer zwischen beiden Städten gependelt.“ Die Woche über machte Römhold ihre Lehre als Maschinist für Wärmekraft, am Wochenende lief sie für Turbine auf. Erst im April, nach dem vorzeitigen Ende ihrer Ausbildung, kam sie endgültig nach Potsdam.

„Hier habe ich eine kleine Wohnung gegenüber dem Karl-Liebknecht-Stadion bekommen, und Sabine Seidel, Carola Schmidt und Heike Braune, meine älteren Mitspielerinnen, haben sich damals und auch später rührend um mich gekümmert und mir sehr geholfen. Sie zählen auch heute noch zu meinen engsten Freundinnen, mit denen ich mich so oft es geht treffe“, erzählt die Kickerin, die in den folgenden Jahren mit Turbine viermal den DDR-Bestentitel gewann; offizielle DDR-Meisterschaften gab es im damals nicht-olympischen Frauenfußball nicht. Das erste Mal gleich im Frühjahr nach ihrem Wechsel von Halle – Bernd Schröder kann sich immer noch gut daran erinnern. „Ich sehe es heute noch wie damals vor mir: Wir hatten in Schwedt den Pokal durch Siege gegen Lichtenberg 47, Schwedt und Fortschritt Erfurt ohne Gegentor gewonnen, und bei unserer Siegesfeier in Briesen bei Birkenwerder saß Simone mit dem Pokal im Arm in der Ecke, als könnte sie unseren und damit auch ihren Erfolg einfach nicht fassen.“

Bald aber mauserte sich der Backfisch zur torgefährlichen Spielgestalterin, führte Römhold im Mittelfeld die Regie. „Schön waren nicht nur die Erfolge in der DDR, sondern auch die Turniere in Wroclaw und im tschechischen Holic, wo wir auch gegen Westvereine spielten, obwohl wir das damals nicht durften“, erinnert sie sich. „In Wroclaw beispielsweise hat sich eine unserer Spielerinnen etwas intensiver um den mitgereisten Stasi-Beauftragten gekümmert, während wir das Turnier vor den Mannschaften aus Italien und Jugoslawien gewannen.“ Als man in der DDR davon Wind bekam, durfte Turbine eine Weile nicht mehr im Ausland antreten, ehe die Regeln wieder gelockert wurden.

Bis 1989 spielte die begnadete Fußballerin für Turbine, ehe sie – bereits mit dem Fotografen Manfred Thomas verheiratet – wegen Schwangerschaft die Töppen vor- übergehend an den Nagel hängte. Nach Benjamins Geburt im März 1990 aber war sie bald wieder da, „um Turbine möglichst beim Aufstieg in die Bundesliga zu helfen“, so der Schwarzschopf. „Mit Benni und Tommi an der Seitenlinie.“ Eine große Hilfe war ihr und anderen jungen Müttern unter den Spielerinnen wie Heike Hoffmann und Michaela Hunger damals Ulrike Schröder, die Frau des Turbine-Trainers. „Ulrike hat sich oft während des Trainings um unsere Kinder gekümmert und sie auch mal zu Hause betreut, wenn wir zu einem Auswärtsspiel waren.“ 1993/94 stieg sie mit ihrem Verein nach drei vergeblichen Anläufen in die Bundesliga auf – und beendete dann aus familiären Gründen ihre Karriere.

Fast. Denn als Ende 1994 Turbines damaliger Coach Frank Lange entlassen wurde, einige wichtige Stammspielerinnen daraufhin aus Protest ebenfalls den Verein verließen und Sabine Seidel kommissarisch den Trainerjob übernahm, schnürte Simone Thomas ihr zuliebe noch einmal eine Halbzeit lang die Schuhe. Ihr Comeback hatte sie im Januar 1995 unterm Hallendach: In Lehrte bei Hannover gewann sie als dort einzige deutsche Feldspielerin Turbines gemeinsam mit den gerade erst aus Moskau eingetroffenen Russinnen Natalja Bunduki, Tatjana Jegorowa, Irina Grigorjewa und Kulistan Botaschowa ein großes internationales Hallenturnier. „Wir kannten uns vorher nicht und haben uns im Spiel doch sofort verstanden. Ich war selbst überrascht, wie gut es klappte. Das war ein Riesenspaß, ebenso wie die weiteren Hallenturniere mit den Russinnen“, erinnert sich Simone Diestel, die dann im Frühjahr in der Bundesliga half, die Klasse zu halten. „Da merkte ich allerdings, dass ich von der Athletik her nicht mehr so mit den jüngeren Spielerinnen mithalten konnte. Ich war auch innerlich ausgepowert und habe deshalb wieder aufgehört und mich ganz meiner Arbeit als Fotografin hingegeben.“ Seitdem verfolge sie Turbines Weg aus der Ferne, aber immer noch mit großem Interesse, erzählt Simone Diestel, die jetzt in Gnevsdorf bei Plau am See lebt und weiterhin als Berufsfotografin tätig ist.

In der dortigen Gegend trat sie übrigens im Sommer 2010 mal wieder an den Ball – als Spielertrainerin eines Dobbiner Männerteams. „Der dortige Bürgermeister fragte mich, ob ich die Dobbiner Mannschaft für den Dorfpokal, den dort traditionell zehn Dörfer austragen, trainieren wolle. Ich stimmte unter der Bedingung zu, dass alles dem sportlichen Ziel untergeordnet wurde – und das gelang“, berichtet Simone Diestel. „Ich habe den Männern acht Wochen das Rauchen und Trinken untersagt und sie mit Schröderschen Methoden – beispielsweise Läufen mit einem Reifen am Seil hinter sich – fit für den Pokal gemacht. Sie sind um ihr Leben gerannt, und am Ende haben wir Platz zwei belegt statt wie sonst Rang neun oder zehn.“

Turbine-Coach Schröder ist sich sicher: „Wäre Simone jünger, könnte sie auch heute noch zu unseren Besten gehören.“ Doch der Star von einst winkt ab. „Heute sind die Spielerinnen viel schneller und athletischer.“ Außerdem sei heute alles viel professioneller und auch kommerzieller, „wobei ich es gut finde, dass die Spielerinnen heute für ihren Hochleistungssport auch entsprechend vergütet werden. Daran haben wir früher allerdings nie gedacht.“ Von Turbines heutiger Spielmacherin Fatmire Bajramaj schwärmt sie besonders. „Sie bringt alles mit, ist noch einen Tick besser als ich damals war, vor allem athletischer und doppelt so schnell. Sie kann unheimlich was am Ball, ist hübsch und in der Öffentlichkeit immer höflich – so stelle ich mir die perfekte Fußballerin vor.“ Simone Römhold, die vor 28 Jahren erstmals nach Potsdam fuhr, war zu ihrer Glanzzeit ein ähnlicher Typ.

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