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Japans Beben: Im März 2011 überrollte eine Flutwelle die Küste Japans - hier in der Stadt Miyako. Der Tsunami folgte auf ein Erdbeben der Stärke 8,9.

© reuters

Potsdamer Geoforscher: Tsunamis präzise berechnen

Potsdamer Geoforscher haben eine neue Warnmethode für Flutwellen entwickelt.

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Zwanzig Minuten dauerte es, dann überrollte die große Welle den Strand. Zunächst ging das Wasser zurück, die Menschen liefen auf die frei gewordene Fläche, sammelten Muscheln, dann brachen die Fluten über sie herein. Das war das Szenario im Indischen Ozean, wo der Tsunami am 26. Dezember 2004 ohne Vorwarnung zuschlug. Gerade bei küstennahen Erdbeben, die Tsunamis erzeugen können, ist die Vorwarnzeit sehr kurz. „Es ist wichtig, dass eine Warnung früh erfolgt, aber sie muss auch präzise sein“, stellt der Geoforscher Andreas Höchner fest. Höchner und seine Kollegen haben am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam eine neue Methode entwickelt, mit der Erdbebenstärke und die räumliche Ausdehnung des Bebens exakter als bisher bestimmt werden können, was eine rasche und detaillierte Tsunami-Frühwarnung ermöglicht. Grundlage dafür sind GPS-Systeme, die gerade an der japanischen Küste bereits in großer Dichte installiert sind.

Grün, rot und gelb schimmern die Punkte einer Computergrafik auf Höchners Bildschirm. Es sind die Stellen, an denen sich das Unterwasserbeben entwickelt hat, das im Jahre 2011 die Flutwelle verursachte, die über die japanische Küste rollte. Als Folge des Tsunamis kollabierte der Reaktor in Fukushima und verursachte eine Katastrophe. Am Atomkraftwerk hatten die Techniker die Höhe möglicher Tsunamis schon beim Bau unterschätzt.

„Die tektonischen Platten sind fortlaufend in Bewegung. Die meiste Bewegung findet sich dabei an den Plattengrenzen“, sagt Höchner. Anschaulich beschreibt der Geophysiker, wie sich eine ozeanische Platte unter eine kontinentale schiebt. Dabei krümmt sich die obere und schnellt schließlich wieder hoch. Dadurch entsteht das Unterwasserbeben, das sich in einer Wasserbewegung an der Ozeanoberfläche fortsetzt. „Wenn sich die Meeresoberfläche im offenen Meer um einen Meter hebt, ist das kaum wahrnehmbar, doch an der Küste kann daraus ein Tsunami entstehen, erklärt der Geoforscher. Mit einer Grafik verdeutlicht er, wie zuerst ein Wellental entsteht und sich dann ein Gebirge aus Wasser auftürmt, das als Tsunami an Land rollt und Menschen und Land überflutet. Dabei gleichen Tsunamis einer heftigen Flutwelle, die alles mit sich reißt und dann ins Meer zieht, wenn das Wasser zurückflutet, erläutert Höchner.

Inwiefern verbessert die neue Methode die Tsunami-Warnung? Bisherige Messungen der Tsunami-Beben beruhen auf Messungen von Hunderten von Seismometern. Eine vollständige Erdbebenauswertung dauert aber ihre Zeit, die man im Fall einer Tsunamigefahr nicht hat. Erste Abschätzungen mit den traditionellen seismologischen Methoden neigen daher zu einer Unterschätzung der Magnitude bei sehr starken Beben. Höchner erklärt: „Das kann verheerende Auswirkungen haben. In Japan wurde die Stärke des Bebens zunächst um das 30-Fache unterschätzt.“

GPS-Messungen der horizontalen und vertikalen Verschiebung können diesen Effekt korrigieren, so Höchner. Ein Vorteil eines GPS-Messnetzes in der Nähe des Bebenherdes ist, dass die Messdaten bereits kurz nach Beginn eines Bebens zur Verfügung stehen. Noch während die Erde bebt, kann die horizontale und vertikale Verschiebung der tektonischen Platten erfasst werden. Zusammen mit den nach und nach einlaufenden seismischen Daten ergibt sich so ein Bild des Bruchvorganges, noch während er stattfindet. Mithilfe der GPS-gestützten Berechnungsmethode sei es schon innerhalb von drei Minuten möglich, eine exakte Aussage zu Stärke und Auswirkungen des Bebens zu machen. In Japan gibt es nach Kenntnis Höchners etwa 1200 GPS-Stationen. Erst jetzt stünden die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, diese auch für die Erdbebenmessung zu nutzten. So können exaktere Vorhersagen getroffen werden als mit ausschließlich seismologischen Daten. Diese Daten bleiben aber der Kern bestehender Warnsysteme.

Der GPS-Schutzschild wurde zunächst für das Tsunami-Frühwarnsystem Gitews (German Indonesian Tsunami Early Warning System) entwickelt, das unter Federführung des GFZ im Auftrag der deutschen Bundesregierung für Indonesien erstellt wurde. Das System basiert auf insgesamt 300 landgestützten Sensoren. „Hier wurden als Innovation neben den Seismometerdaten auch GPS-Daten benutzt, um sehr schnell den Bebenmechanismus feststellen zu können“, erklärt Höchner. „Wir können aus GPS-Daten die Verformung des Meeresbodens berechnen, die zum Tsunami führt.“

Die Verkürzung der Vorwarnzeit und die größere Exaktheit könnten bei Vorwarnungen entscheidend sein, meint Höchner. Denn darauf beruhten schließlich auch Evakuierungspläne. Der Wissenschaftler hat seine Methode zunächst mittels einer mathematischen Simulation entwickelt und diese dann mit den Daten, die von den GPS-Stationen in Japan verfügbar sind, verglichen. Dabei bestätigten sich die simulierten Zahlenwerte. Präsentiert hat Höchner das GPS-gestützte Warnsystem in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. „Ein dichtes GPS-Netz in der Nähe der Entstehungsgebiete von Tsunamis könnte weltweit eine sinnvolle Maßnahme sein“, meint Höchner. Zuletzt gab es Anfang April Tsunami-Alarm in Chile (siehe Text rechts). Höchner verweist hier auf die neue Methode: „Eine Kooperation mit chilenischen Partnern zum Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems ist in Arbeit.“

Richard Rabensaat

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