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Homepage: Überwältigende Erinnerung

Konferenz am Zentrum für Zeithistorische Forschung beschäftigte sich mit verschiedenen Geschichtsinterpretationen

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Hoch auf einer steinernen Bühne steht ein Paar Stiefel im Memento Park nahe Budapest. Die Figur dazu fehlt. Funktionslos verweist das militärische Schuhwerk auf den kommunistischen Diktator Stalin. Die revoltierende Menge sägte ihn am 23. Oktober 1956 in Ungarn vom Sockel. Statuen im Erinnerungspark mit hoch aufgereckten Armen, Fahnen in den Händen, die Gesichter in versteinerter Glückseligkeit erstarrt, erregen den Unmut von Eva Kovács.

Bei der Fachtagung „Sprachen der Erinnerung“ des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam sprach die Ungarin über das ihrer Ansicht nach unhistorische, zufällige Arrangement des Memento Parks, der zu einer beliebten Touristenattraktion geworden ist. Nachdem das kommunistische Regime in Ungarn 1989 zusammengebrochen war, wurden auch die zu seiner Lobpreisung errichteten Skulpturen obsolet. Zusammengetragen auf einem Parkgelände sollen sie nach Ansicht der Ausstellungsverwaltung „eine perfekte Einführung in die Natur der Diktaturen bieten.“ Eva Kovacs bezweifelt die Tragfähigkeit des pädagogischen Anliegens. Den „Weg des Kommunismus als Spaziergang“ anhand der Skulpturen nachzuvollziehen, funktioniere nicht. Touristen, die ihre Faxen mit den ehemaligen steinernen Helden der Arbeiterklasse trieben, würden die Kaderstrukturen, die das Regime ehemals geprägt haben, gar nicht erfassen oder sie verdrängen.

Die Unterschiedlichkeit, mit der in den verschiedenen Staaten Europas und insbesondere in Ost und West die Vergangenheit betrachtet und geschichtlich wahrgenommen wird, war das Thema dieser Fachtagung. „Häufig werden Begrifflichkeiten in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen ganz anders aufgefasst“, stellt Thomas Schaarschmidt vom ZZF fest. „Bei einem Begriff wie ‚politische Bildung’ denken in den ehemaligen Ostblockstaaten alle gleich an Agitation.“ Während bei Worten wie „Gedächtnispolitik“ in der westlichen Geschichtswissenschaft ein kritischer Impetus sogleich mitgedacht werde, wäre der Begriff in Ungarn oder Russland entweder unklar, oder sogleich ausgesprochen negativ konnotiert.

Wie breit gefächert die Problematik der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Erinnerung ist, zeigt die Spannbreite der Seminarbeiträge. Sie reichte vom faschistischen Regime Antonio de Oliveira Salazars 1930 in Portugal bis hin zur Betrachtung von Erinnerungskulturen als einem gesamteuropäischen Phänomen.

Einig waren sich die Referenten darin, dass Museen, Themenparks und Dokumentationszentren keinesfalls eine still vor sich hin staubende Historie transportieren, sondern die Vergangenheit interpretieren. „Wie Geschichte aufgearbeitet wird, das ist immer eine immens politische Angelegenheit“, betont Andrea Genest vom ZZF.

Heidemarie Uhl aus Wien belegt diese These am Beispiel der Aufbereitung des Nationalsozialismus in Österreich. Unmittelbar nach dem Krieg hätte sich ganz Österreich eigentlich als Opfer des Nationalsozialismus betrachtet. Ein Foto des brennenden Stephansdoms in Wien sollte lange Zeit in Schulbüchern dokumentieren, dass eine kleine Elite von Nazis die an sich unschuldigen Österreicher hinterrücks okkupiert hätte. Erst langsam sei das Bewusstsein dafür gewachsen, dass die jubelnde Menge, die am 1938 Hitler auf dem Heldenplatz in Wien begrüßte, kein Zufall war.

Wie die Qualität ähnlicher musealer Präsentationen auseinander fallen können, verdeutlicht Eva Kovács am Beispiel des Jüdischen Museums in Berlin und des Holocaust Museums in Budapest. Zusammen mit der Holocaust Gedenkstätte werde in Berlin wenigstens angestrebt, eine detaillierte Dokumentation zu erreichen. Das Holocaust Museum in Budapest aber setzte überdeutlich auf eine Emotionalisierung der Besucher, die Kovács verurteilt. „Da wird man überwältigt, hat nachher die schrecklichen Bilder im Kopf und versteht gar nicht, wie politische Strömungen zustande kommen.“

Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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