Von Henri Zimmer: Überzeugte Zionistin Ines Sonder vom MMZ Potsdam stellt in einer Biografie die Architektin Lotte Cohn vor
Deutsche Juden, die schon zu Zeiten der Weimarer Republik ihr Land in Richtung Palästina verließen, galten gemeinhin als „Exoten“. Wenige Tausend an der Zahl, machten sie bis 1933 nur einen Bruchteil der zionistischen Gemeinschaft in „Eretz Israel“ aus.
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Deutsche Juden, die schon zu Zeiten der Weimarer Republik ihr Land in Richtung Palästina verließen, galten gemeinhin als „Exoten“. Wenige Tausend an der Zahl, machten sie bis 1933 nur einen Bruchteil der zionistischen Gemeinschaft in „Eretz Israel“ aus. Dennoch haben einige von ihnen schon während der 20er Jahre ihre unverkennbare Handschrift zwischen Mittelmeerküste und Jordantal hinterlassen, darunter emanzipierte und höchst visionäre Frauen.
Zu einer von ihnen, der aus Berlin stammenden Architektin Lotte Cohn, hat die Israel-Expertin Ines Sonder vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam (MMZ) nun eine illustrative und lesenswerte Biografie herausgebracht, in der sich Familienschicksal, Baugeschichte und zionistische Historie in spannender Weise mischen. Lotte Cohn, eine der ersten Architektur-Studentinnen an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg, bekam ihr „Anderssein“ als Jüdin frühzeitig zu spüren. Eine antisemitische Verleumdungskampagne gegen ihren Vater, den Arzt Bernhard Cohn, ließ sie schon in jungen Jahren zur überzeugten Zionistin werden.
So wie sämtliche ihrer Schwestern wanderte sie kurz nach dem Ersten Weltkrieg ins Britische Mandatsgebiet Palästina aus. Als Architektin traf Cohn dabei genau zum richtigen Zeitpunkt ein, glänzte bald mit Entwürfen für Kibbutz-Häuser, Bibliotheken und Altenheime, baute die legendäre Pension „Käte Dan“ am Strand von Tel Aviv und entwickelte Mittelstands-Siedlungen für die nach Hitlers Machtübernahme in Massen eintreffenden deutsch-jüdischen Flüchtlinge. Infolge gelungener Großprojekte quer durch Israel galt das von ihr geführte, in Tel Aviv ansässige Büro Cohn & Lavie dann über Jahrzehnte als eine führende Architektenadresse im Land.
Ines Sonder beschreibt neben der erfolgreichen Architektin auch eine sensible Persönlichkeit, die keineswegs mit Scheuklappen durch das Land laufen wollte. Zu ihren Freunden in Palästina/Israel gehörten nicht nur Star-Architekten wie Richard Kauffmann, Gertrud Krolik und Julius Posener, sondern auch der Religionshistoriker Gershom Scholem und der Philosoph Hugo Bergmann. Schon in den 20er Jahren trat die junge Protagonistin dem von Intellektuellen wie Yehuda Magnes und Arthur Ruppin gegründeten „Brith Shalom“ („Friedensbund“) bei, welcher einen binationalen Staat für Juden und Palästinenser anstrebte. Cohns Verhältnis zum Herkunftsland ließ sich dagegen nach dem Holocaust nicht mehr reparieren. 1954 besuchte sie Berlin zwar kurz im Zuge einer Europareise, danach betrat sie aber nie mehr deutschen Boden.
Autorin Sonder hat es tunlichst vermieden, Lotte Cohns architektonische und gesellschaftliche Errungenschaften in Palästina/Israel „bewerten“ oder „einordnen“ zu wollen. Vielmehr kommt die Doyenne der frühen israelischen Architektur im zweiten Teil des Buches anhand eigener, retrospektiver Reflexionen authentisch zu Wort.
Ines Sonder, die bereits zu Gartenstadt-Konzeptionen im Jüdischen Staat – insbesondere jenen von Richard Kauffmann – geforscht und publiziert hat, plant weitere Studien zur israelischen Architekturgeschichte bis in die jüngste Gegenwart. Am MMZ lehrt sie über jüdische Kunstsammler und Mäzene, und hier ist sie zudem Mitherausgeberin einer Studie „Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert“.
Ines Sonder, Lotte Cohn. Baumeisterin des Landes Israel, Suhrkamp, Berlin 2010. 240 Seiten; 26,80 €; ISBN 978-3633542383
Henri Zimmer
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