
© Peter Meissner
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Eine Tagung des MMZ befasste sich mit dem staatlichen Ausverkauf von Kunst aus der DDR für Devisen
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Um sieben Uhr morgens standen 14 Personen vor dem Haus des Dresdner Kunsthändlers Gottfried Günther. Kriminalpolizei, Steuerbehörde, Schätzer und Zeugen. Grund des unangekündigten Besuchs im Jahre 1980 war ein fingiertes Steuerverfahren der DDR-Behörden. Alle Kunstgegenstände des Händlers wurden erfasst und ihr Wert geschätzt. Nicht nur aus der Kunsthandlung, auch das Inventar der Privatwohnung wurde aufgenommen. Aus einer für 60 Ostmark erworbenen Barockkommode, die als Wickelkommode diente, wurde eine Antiquität für 12 000 Mark. Die Teller des Zwiebelmuster-Porzellans, von dem die Familie aß, wurden auf 100 Mark geschätzt – pro Stück. Gekauft hatte man sie für drei Mark.
Stefan Günther, heute selbst Kunsthändler in Dresden, erzählte am Montag die tragische Geschichte seines Vaters auf der Konferenz „Kunst gegen Valuta – Der staatliche Ausverkauf von Kunst und Antiquitäten zur Devisenbeschaffung in der DDR“ des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ). Der Gesamtbestand mitsamt dem Ferienhaus sei damals auf eine siebenstellige Summe geschätzt worden. Das Kalkül des DDR-Apparates: der Kunsthändler kann die daraus entstehende Steuerschuld – bei einem Steuersatz von 96 Prozent – nicht zahlen, die Kunstgegenstände können sodann beschlagnahmt und über die „Kunst und Antiquitäten GmBH“ aus dem Wirtschaftsbereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) für Valuta in den Westen verkauft werden.
Drei Jahre dauerte das Verfahren, Gottfried Günther wurde von den damals vermeintlich besten DDR-Anwälten Gregor Gysi und Lothar de Maizière verteidigt. Mit Hilfe von Verwandten und Bekannten konnte er Zweidrittel der angeblichen Steuerschuld zahlen, der Rest wurde gestundet. Der Kunsthändler konnte seinen Besitz behalten, doch er starb kurz darauf mit 58 Jahren den plötzlichen Herztod. „Er hatte einen relativ naiven Glauben an den Rechtsstaat , der die DDR nicht war“, sagt sein Sohn heute. Das Verfahren sei nicht von ungefähr gekommen, man war gewarnt worden. Doch Gottfried Günther habe pedantisch Buch geführt, er war sich sicher, dass man ihm nichts anhaben könne. In den Akten musste sein Sohn Stefan Günther nach der Wende lesen: „Das Schwein ist Fett, wir können es schlachten.“ 1992 bestätigte ein Gericht in einem Rehabilitationsverfahren, dass das Gerichtsverfahren seinerzeit eklatant gegen DDR-Recht verstoßen habe.
Seit den frühen 1970er Jahren waren auch ostdeutsche Kunstsammler verstärkt in den Blick der Staatsorgane der DDR geraten. Ziel war die Enteignung ihrer Kunstsammlungen. Den Sammlern wurden Handelstätigkeit und steuerliche Vergehen unterstellt. Auch wenn die meisten keinen gewerblichen Handel betrieben, wurden ihre Privatwohnungen zu Warenlagern umdeklariert und ihre Sammlungen mit vielfach überhöhtem Wert geschätzt. Die daraus resultierende Steuerschuld überstieg meist bei weitem das Vermögen der Sammler – die Kunstgegenstände wurden konfisziert und zur Devisenbeschaffung ins Ausland verkauft.
„Die Sammler waren diesen Verfahren schutzlos ausgeliefert und zum Teil erheblichen Repressionen ausgesetzt“, erklärte auf der Potsdamer Tagung der Rechtswissenschaftler Ulf Bischof, ein Experte für Kunstrecht. Die Museen hätten dabei eine zwiespältige Rolle gespielt. „Einerseits versuchten sie selbst, Stücke aus diesen Verfahren zu erhalten, andererseits kritisierten sie den fortwährenden Export von Kunst aus der DDR.“ Teilweise wurden komplette Sammlungen und ganze Bibliotheken von Ost nach West verkauft. Die Abnehmer im Westen wiederum hätten meist keine Fragen nach der Herkunft der Objekte gestellt – oder waren einfach ahnungslos. Die Rehabilitierung der Sammler ist nach Einschätzung von Bischof nach der Wende nur bedingt gelungen. Bis heute laste ihnen die Kriminalisierung ihrer Sammlertätigkeit an. „Der deutsch-deutsche Kunsttransfer ist ein Stück unbewältigte Kulturgeschichte“, sagte Ulf Bischof.
So düster dieses Kapitel DDR-Geschichte auch ist, lässt sich zumindest feststellen, dass sich der Umfang des ostdeutschen Kunstraubes in Grenzen hielt. Insgesamt habe es nach Schätzungen von Bischof in der DDR nur an die 700 Sammler gegeben. Von den mehreren Milliarden Valuta-Mark, die von der KoKo in den 80er Jahren jährlich erwirtschaftet wurden, seien lediglich 30 bis 40 Millionen auf den Kunsthandel zurückgegangen, davon wiederum nur rund fünf bis zehn Millionen auf Kunstgegenstände von privaten Sammlern und Händlern.
Zentraler ist daher heute auch die Frage des Umgangs mit den Betroffenen. Da es keine Verwaltungs- und Finanzgerichte in der DDR gab, seien die Opfer wehrlos der Willkür des DDR-Systems ausgesetzt gewesen. „Wer durch Kunstbesitz auffiel, hatte Pech gehabt“, so Bischof. Auch er schilderte den Fall eines Dresdner Kunstsammlers, dessen Sammlung annektiert wurde. Oft blieb es nicht allein bei der Enteignung. So wurde der 80-Jährige von den Behörden wegen angeblicher Selbstmordgefahr in die Psychiatrie eingewiesen.
Dass nun, 20 Jahren nach dem Ende der DDR, enteignete Kunstgegenstände wieder zurückgegeben werden könnten, schien den anwesenden Experten eher unwahrscheinlich. „Die Frage der Rechtsansprüche ist sehr kompliziert“, sagte MMZ-Direktor Julius Schoeps den PNN (s. Text unten). Er halte es für ziemlich aussichtslos, mit Rechtsmitteln etwas zu erwirken. Dennoch gebe es einen moralischen Anspruch zur Rehabilitation der Betroffenen, ergänzte der Historiker.
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