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Trauer um Elias und Mohamed: Hunderte Menschen kamen zur offiziellen Gedenkfeier der Stadt Potsdam.

© dpa

Leitartikel über Elias und Mohamed: Und was ändern wir?

Ein Kind verschwand am hellichten Tag in Potsdam, aus unserer Mitte. Die Fälle Elias und Mohamed machen betroffen, sie haben den Alltag zahlreicher Familien verändert, viele Fragen aufgeworfen. Was bleibt?

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Potsdam - Wie oft haben wir in dieses Gesicht gesehen. Es unwillkürlich, unfreiwillig abgeglichen mit dem des eigenen Kindes, des eigenen Enkels. Wieder hingesehen. Das zarte Lächeln, der Blick so, wie Kinder sich ihre Welt erobern: offen, entschlossen, gleichzeitig fragend. Wer länger hinschaut, muss sie zulassen. Die Gedanken daran, was diesem Kind, Elias, 6 Jahre, aus Potsdam, geschehen ist. Was ihm angetan wurde. Wer länger hinschaut, muss trauern. Ja, Potsdam braucht diese Trauer, musste Abschied nehmen von Elias und auch von Mohamed, der dem gleichen Täter zum Opfer fiel.

Was bleibt nun, neben der brutal erneuerten Erkenntnis, dass offenbar wirklich alles überall jedem zustoßen kann?

In Potsdam bleibt ein Trauma

Potsdam, dieser Stadt, in der die Welt noch in den Fugen ist, in der es mehr Gut gibt als Schlecht, in der die Schönheit wohnt, diesem Potsdam bleibt ein Trauma. Hier, mitten zwischen uns, konnte ein Kind verschwinden, spurlos. Am helllichten Tag. Vor den Augen aller, und gleichzeitig, so stellt es sich zumindest dar, vor niemandes Augen. Was geschah, hat den Alltag zahlloser Familien verändert. Kinder, die allein Wege zurücklegen, allein draußen spielen durften, werden nicht mehr allein gelassen. Angst hat sich breitgemacht. Sie wird bleiben, auch wenn Elias fort ist. Sie bleibt, weil Elias fort ist.

Vielleicht, ja vielleicht sind solche Taten, die Elias und Mohamed das Leben kosteten, nicht zu verhindern. Das aber entbindet nicht davon, daran zu arbeiten, sie bestenfalls unmöglich zu machen. So bleiben große Fragen, kleine Fragen.

Die ersten 24 Stunden sind entscheidend

Ist die Polizei gut genug gerüstet für einen solchen Fall – personell, aber auch konzeptionell? Warum gibt es bei den Ermittlungsbehörden keine übergeordnete Einsatzgruppe, die in solch einer Lage egal wo in Deutschland sofort und automatisch aktiv wird? Spezialisten, die wenig anderes tun, als vermisste Kinder zu finden, müssen die lokalen Einsatzkräfte beraten, unterstützen. Nach der Devise, die sonst fast überall gilt: Je spezialisierter – je öfter mit Fällen eines vermissten Kinds befasst –, desto besser für jene, die sonst den polizeilichen Alltag vor Ort bewältigen.

Dabei zählt, das zeigen schmerzhaft auch die Fälle Elias und Mohamed, was die Initiative Vermisste Kinder immer wieder betont: Die ersten 24 Stunden im Fall eines vermissten Kindes in diesem Alter sind entscheidend. Danach ist es oft schon zu spät. Daraus ergibt sich dringender Bedarf, das Herangehen zu verändern. Wenn nur ein Kind dadurch gerettet würde, es hätte sich mehr als gelohnt.

Soziale Missstände: Blick auf den Schlaatz

Es muss auch der Blick auf den Schlaatz gerichtet werden. Was tut die Stadt Potsdam in ihrem Problemviertel, das trotz jahrelanger starker Bemühungen, trotz der „Schlaatzer Allianz“, immer wieder abzurutschen droht, in dem soziale Missstände die Menschen, die es trotz des angespannten Wohnungsmarkts in Potsdam noch vermögen, zum Wegzug treiben? In dem die Zahl der Kinder, die ohne Frühstück in die Schule geschickt werden, immer größer geworden ist über die Jahre.

Der mutmaßliche Täter hat sich die beiden Kinder dort geholt, wo er das für sein Ansinnen einfachste Umfeld vermutete: im Wohngebiet am Schlaatz und am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), wo das Land Berlin es seit Monaten nicht vermag, die Ausnahmesituation der zahlreichen Flüchtlinge, die sich dort registrieren müssen, in den Griff zu bekommen. Die Schwachen jedoch, sie brauchen besonderen Schutz.

Vorbild Drewitz

Dass es geht, wie es geht, zeigt Potsdam im Übrigen gleich nebenan in Drewitz, ebenso Plattenbau-Viertel mit Brennpunkt-Diagnose. Dort wurde etwas bewegt. Rein räumlich, mit dem Umbau zur Gartenstadt, der öffentliche Räume geschaffen hat, die es auch sind, nicht mehr anonym. Und es wurde ein neues, stärkeres soziales Netz gespannt.

Was bleibt also? Die schmerzhafte Frage, ob wir alles getan haben. Ob wir heute alles tun. Und ob wir manches, Elias und Mohamed wegen, wirklich anders machen werden.

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