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Von Henri Kramer: Unter Zugereisten

Die Jordans leben in einem Einfamilienhaus mitten im Bornstedter Feld – und hoffen, dass die Infrastruktur in dem Stadtteil mit der Entwicklung ihrer beiden Töchter mithalten kann

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Die Pokale der Familie Jordan stehen akkurat im Wandschrank hintereinander aufgereiht. Es sind Trophäen in Sportarten wie rhythmischer Gymnastik, Leichtathletik, Badminton. Einen Preis gewonnen haben alle Familienmitglieder schon. „Wir versuchen uns eben fit zu halten“, sagt Armin Jordan.

Der Wunsch nach Bewegung ist einer der Gründe, warum sich die Jordans für das Bornstedter Feld entschieden haben. „Hier ist noch viel Platz, auch zum Joggen.“ Sie sind eine von tausenden Familien, die in Potsdams jüngstem und am schnellsten wachsenden Stadtteil zusammen leben. Die Jordans wirken typisch für das Viertel: Armin und Antje Jordan sind Anfang 40, ihr beiden Töchter Jana und Vera sind sieben und neun Jahre alt. Vater Armin kommt aus dem Westerwald, Mutter Antje ist in Magdeburg aufgewachsen. Sie wohnen in einem zweistöckigen Einfamilien-Haus in der Heinrich-Zeininger-Straße – einer jener Straßen, die so neu sind, dass Ur-Potsdamer sie nicht kennen. „Hier gibt es fast nur Zugereiste“, sagt Antje Jordan über ihre Nachbarschaft. Das Los der Zugezogenen vereint sie. „Wir haben hier schon viele Freunde.“ Nur der Kontakt mit den Ur-Bornstedtern, sagt Antje Jordan, das sei „nicht ganz so einfach.“

Doch die neuen Potsdamer haben sich eingerichtet. Ein früher Morgen im Bornstedter Feld: Einzelne Hundebesitzer führen ihre Vierbeiner aus, Jogger legen ihre ersten Kilometer zwischen niedrigen Musterhaus-Modellen und gepflegten Vorgärten zurück. Bei Jordans ist Frühstückszeit mit Corn-Flakes, Landmilch, Schwarzbrot, Wurst, Käse und Nutella. Ein Automat liefert auf Knopfdruck passgenaue Kaffeemengen. 1997 haben sich die Eltern kennen gelernt. 1998 ging die gemeinsame Lebensreise wegen des Jobs von Armin Jordan nach Potsdam. Erst lebten sie noch zur Miete in der Kirschallee, 2005 kam der Entschluss zum Bauen – dieses Mal mitten im Bornstedter Feld. „Viele Punkte hier sind einfach günstig für uns“, sagt Armin Jordan.

Ein Beispiel zeigt sich nach dem Frühstück. Die Kinder haben bis zu ihrer Karl-Foerster-Grundschule rund 1300 Meter Weg, den sie auf dem Fahrrad in wenig befahrenen Straßen zurücklegen. Der Weg zur Kita früher war nicht viel länger. Ebenso schwärmen die Eltern für den Volkspark und dessen Kinderangebote: „Der Wasserspielplatz ist schon genial.“ In der Nähe liegt auch der Park Sanssouci, der Ruinenberg, das Belvedere, die Lennésche Feldflur und der Jungfernsee – das Bornstedter Feld ist von Erholungsgebieten, Rad- und Joggingstrecken geradezu umzingelt.

Ein weiteres Kriterium für die Wahl gerade dieses Wohnorts sind für die Jordans die beiden Parkplätze am Haus. Ohne zwei Autos könnten sie nicht arbeiten: Antje Jordan verkauft Grundstücke für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), Armin Jordan entwickelt Verkehrsprojekte in der Region Berlin-Brandenburg. Für beide bedeutet das „viel Fahrerei“ – und auch sonst wäre der Wochenzeitplan ohne Auto wohl kaum zu halten. Am Montag und am Mittwoch müssen die Kinder beispielsweise am Nachmittag zum Leichtathletiktraining beim SC Potsdam in den Luftschiffhafen. „Wir teilen uns die Fahrerei mit anderen Nachbarn, deren Kinder auch dort sind“, sagt Antje Jordan. Praktisch dabei sei, dass es mit der Verbindung über die Amundsenstraße eine Strecke gäbe, die nicht durch die chronisch verkehrsverstopfte Potsdamer Innenstadt verlaufe. Nur für Veranstaltungen am Abend greifen die Jordans auf öffentliche Verkehrsmittel zurück, im Zweifelsfall vertrauen sie auf ihre Fahrräder. „Obwohl hier inzwischen mehr Bahnen fahren.“

Inzwischen ist Nachmittag. Heute ist Armin Jordan eher da als gedacht. Er zieht Schrauben an seinem Fahrrad nach, die Kinder haben auch schon frei. Vera will Radfahren. „Zieh bitte den Helm auf“, sagt Armin Jordan. Den Satz spricht er mit viel Nachdruck. Nach einem Radunfall war er einmal wegen einer Gehirnerschütterung einen Monat lang außer Gefecht gesetzt – „trotz Helm“. Nun will er, damit seine Kinder von solchen Erfahrungen möglichst verschont bleiben, ein „gutes Vorbild“ sein.

Um die Kinder dreht sich sowieso sehr viel in der Freizeit, die die Jordans haben. Mit dem Angebot für die Töchter im Viertel sind sie „noch“ zufrieden. In absehbarer Zeit könnte sich das ändern. Gerade für Jugendliche gäbe es in dem Viertel noch erkennbar wenig Angebote – außer dem arg sanierungsbedürftigen Jugendklub „Ribbeckeck“ am Eingang zum Krongut und der Jugendfeuerwehr in Bornstedt. „Und in ein paar Jahren muss hier im Norden eine weiterbildende Schule stehen“, sagt Antje Jordan.

Ihr Mann nickt. Schon jetzt sei das Angebot im Vergleich zur Nachfrage äußert prekär. „Unsere Schule ist brechend voll“, bestätigt Vera. Ihre Schwester Jana habe damals auch nur einen Kitaplatz als Geschwisterkind erhalten: „Du bist eh nur wegen mir reingekommen.“ Die zwei Mädchen lachen. Nicht ganz so witzig findet Armin Jordan die Situation: „Es kann doch eigentlich nicht sein, dass in einem Viertel, dass speziell junge Familien hochgezogen wird, nicht gleich genügend Schulplätze da sind.“

Es gibt einige solcher Kinderkrankheiten, deren Heilung sich Familie Jordan für ihr Viertel noch wünscht. Das fängt vor der Haustür an, weil die Heinrich- Zeininger-Straße laut Bebauungsplan eigentlich eine beruhigte Spielstraße sein soll. Weil laut der Stadtverwaltung die Straße aber noch als Zufahrt für andere Baustellen benötigt wird, gilt derzeit nur Tempo 30. „Das ärgert uns schon“, sagt Antje Jordan. Als „grenzwertig“ empfindet sie zudem den Preis von zuletzt 38 Euro, die für die Volkspark-Familienkarte zu zahlen sind. Doch ist solche Kritik an Potsdam bei ihr und ihrem Mann nicht die Regel. Generell bemühe sich die Stadt, gerade für Familien etwas zu tun. „Im Prinzip hat ja immer alles doch geklappt“, sagt Armin Jordan. Gerade Verwandte aus den westlichen Bundesländern müssten zwar weniger für Kita-Plätze zahlen, hätten aber zugleich kaum Chancen, überhaupt einen zu ergattern. Und auch auf das Bad, das bis Mitte 2012 an der Biosphäre entstehen soll, freuen sich die Jordans schon jetzt: Noch eine Sportart mehr, die in ihrem Viertel möglich ist.

Am frühen Abend werden die Brettspiele ausgepackt: Eine der Arten, wie Eltern und Töchter sich beschäftigen. An Wochenenden fahren sie zusammen weg, zuletzt waren sie beim Familienmarathon im Spreewald. „Außerdem habe ich mit meiner Tochter um zehn Euro gewettet, dass ich an meinem Fahrrad bald einen höheren Tachostand habe als sie“, sagt Antje Jordan. Das anstehende Wochenende will sie für ein Triathlon-Training nutzen, während er den Rhabarber aus dem Garten zu Kuchen verarbeiten möchte. „Wir haben keine sehr klassische Arbeitsaufteilung“, sagt Armin Jordan.

So finden die Jordans im Bornstedter Feld viel Zeit für sich. Manches Mal zu viel: Da bedauern sie, dass an eine Kneipenszene wie in Berlin im Bornstedter Feld nicht zu denken ist. Doch viel wichtiger für die Jordans: Das Zusammenleben mit den Nachbarn klappe gut. Selbst die Baustellengeräusche von anderen Häusern, die noch nicht fertig sind, seien zu ertragen. „Wir sind ja hier auch einmal zugezogen“, sagt Armin Jordan. Im Sommer organisiert die Nachbarschaft stets gemeinsam ein Straßenfest.

So stellte nur dieser Winter die guten Beziehungen auf eine Probe. Es ging um das Schneeschippen und wie viel Eis und Schnee jeder Grundstückseigentümer wegräumen muss. „Da gab es schon sehr unterschiedliche Auslegungen“, sagt Antje Jordan. Doch habe die tägliche Schipperei auch ihre gute Seite gehabt: „Das war wie Sport.“ Eine Trophäe gab es dafür allerdings nicht.

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