
© A. Klaer
PNN-Serie: Angekommen in Potsdam: Unterwegs auf neuen Straßen
Amir Tit floh vor dem Terror aus seiner Heimat Syrien. In Potsdam beginnt er demnächst eine Ausbildung als Touristenbusfahrer.
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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten: Jede Woche stellen die PNN eine Person vor, die zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.
Potsdam - Eigentlich ist er großer Fan der spanischen Fußball-Nationalmannschaft. Wenn die gerade nicht spielt, fiebert er am Bildschirm auch mit den deutschen Spielern mit. Oder er schaut sich „Das Supertalent“ an. Fernsehen ist für Amir Tit mehr als Unterhaltung – es hilft ihm, die deutsche Sprache schneller zu lernen. Das ist ihm sehr wichtig, schon allein um endlich arbeiten gehen zu können. Der Grundstein dafür ist bereits gelegt: Demnächst wird der 24-Jährige eine fünfmonatige Ausbildung zum Busfahrer bei der Potsdamer Firma City-Sightseeing beginnen.
Flucht vor dem "Islamischen Staat" aus Syrien
„Ich habe etwas gesucht, was in der Ausbildung nicht zu lange dauert, weil ich endlich auf eigenen Füßen stehen möchte“, erklärt Tit. Mit seinem Einkommen will er nicht nur sein eigenes Leben finanzieren, sondern muss auch seine Familie unterstützen. Gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und einem seiner beiden Brüder musste er 2013 vor Angriffen des „Islamischen Staats“ aus Syrien fliehen. Dort studierte er Elektro-Ingenieurswesen, arbeitete nebenbei schon in einer Firma und auch seine Familie war gut situiert. „Mein Vater hatte seine eigene Elektrofirma, mein Bruder einen Möbelvertrieb“, erzählt er. Inzwischen sei jedoch alles durch die Bombenangriffe zerstört worden.
Amir Tit selbst wurde außerdem ein Jahr lang festgehalten, über die näheren Umstände möchte er nicht sprechen. Nach seiner Freilassung reiste er mit seiner Familie zunächst in die Türkei, wo er jedoch keine Arbeit finden konnte und das Geld kaum zum Überleben reichte. Also reiste er nach einem Jahr weiter nach Italien, verbrachte zehn Tage auf einem Boot, das für die 180 Passagiere viel zu klein war, wie er sagt – und von dem sich der Kapitän nach zwei Tagen verabschiedete. Ein Passagier steuerte es dann irgendwie nach Italien, viele Frauen und Kinder wurden wegen mangelnder Wasser- und Lebensmittelversorgung krank auf der Reise . Vor Ort seien die Bedingungen jedoch noch schwieriger als in der Türkei gewesen.
Im Staudenhof in Potsdam wohl gefühlt
Tit reiste nach zwei Wochen mit dem Zug nach Deutschland weiter, blieb zunächst drei Monate in Eisenhüttenstadt und kam dann vor neun Monaten in das Potsdamer Flüchtlingsheim im Staudenhof. Dort habe er sich sofort wohlgefühlt und es vor allem sehr genossen, endlich mehr Kontakt mit anderen Menschen zu haben. „In Eisenhüttenstadt war ich nur in meinem Zimmer, konnte mich kaum verständigen“, erzählt er. „Hier waren die Menschen sofort offen, ich hatte Kontakt mit den anderen Flüchtlingen, aber auch mit Potsdamern, das war sehr schön.“
Seit einer Woche wohnt er jetzt in einer eigenen kleinen Wohnung in der Berliner Straße, in der er sich wohlfühlt, wie er sagt. Einen Intensiv-Deutschkurs besucht Tit, der neben Arabisch auch Türkisch und ein bisschen Englisch spricht, erst seit zwei Monaten, doch seine Kenntnisse sind beeindruckend – das Gespräch mit den PNN führt er ausschließlich in deutscher Sprache.
Im Sommer oft im Babelsberger Strandbad
Er selbst bleibt bescheiden: „Ich gebe mir große Mühe, lerne gerade die Buchstaben zu schreiben“, sagt er. Kopfzerbrechen bereiten ihm vor allem lange Komposita, wie etwa „Autoführerschein“ oder „Werkzeugkasten“, doch entmutigen lässt er sich davon nicht. Auch sonst kommt er langsam in Potsdam an, unternimmt regelmäßig etwas mit Bekannten, kennt inzwischen die Straßen, weiß welche Tram er wohin nehmen muss und war im Sommer oft im Babelsberger Strandbad. Die Stadt gefällt ihm gut, sie sei „nicht zu groß, aber auch nicht zu klein“, und das viele Wasser sei sehr schön.
Was ihn immer wieder positiv überrasche, sei die Offenheit der Menschen hier: „Ich gehe hier in der Nähe bei Netto einkaufen und als ich ein paar Mal dort war, wurde ich schon begrüßt und gefragt, was ich brauche“, so Tit. Ein wenig vermisse er das Essen aus der Heimat. Aber auch Schnitzel schmecke ganz gut, sagt er. Auf die Frage, ob er sich in Potsdam schon zu Hause fühle, reagiert er trotzdem nachdenklich. Es sei schon „seine Stadt“, wie er sagt, aber die ständige Sorge um die Familie sei „viel Stress“ für ihn. Denn die lebt nach wie vor in der Türkei, das Geld – 400 Euro müsste er pro Person für die Reise bezahlen – reiche nicht aus, um sie auch nach Potsdam zu holen. Seine Schwester ist mit 15 Jahren noch zu jung, um arbeiten zu gehen, seine Mutter und sein Bruder finden bislang vor Ort keinen Job. Das Geld, das er später als Busfahrer verdienen wird, muss für alle reichen und ob die ganze Familie irgendwann hier leben kann, ist unklar. Hier in Potsdam bleiben würde Tit jedoch sehr gerne – und ab nächster Woche möchte er auch im Flüchtlingsteam des Fußballvereins SV Babelsberg 03 mittrainieren.
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