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Die angeklagte Frau sitzt neben einer Dolmetscherin und ihrer Verteidigung in einem Verhandlungssaal in einem Landgericht.

© dpa/Michael Bahlo

Update

Urteil im Wachmann-Prozess in Potsdam: Mehr als zwölf Jahre Haft für Angeklagte

Potsdamer Landgericht verurteilt 38-Jährige in einem Indizienprozess wegen Totschlags zu langer Freiheitsstrafe. Die trans Frau hat nach Ansicht des Gerichts einen Wachmann einer Asylunterkunft getötet.

Stand:

Das Potsdamer Landgericht hat im Prozess um den tödlichen Angriff auf einen Wachmann einer Potsdamer Flüchtlingsunterkunft die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und acht Monaten wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Damit folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert. Abgeschlossen ist die Sache damit nicht. „Das Urteil ist sehr hart“, sagte Rechtsanwältin Sonja Steineck. Selbstverständlich werde sie fristgerecht Revision einlegen.

Angeklagt war eine 38-Jährige mit südafrikanischer Staatsangehörigkeit. Sie war zum Tatzeitpunkt Bewohnerin der Gemeinschaftsunterkunft in der Potsdamer Geschwister-Scholl-Straße. Die Angeklagte lebt als trans Frau. Die Anklage lautete auf Totschlag. Die Frau hatte die Tat bestritten. Es handelte sich um einen Indizienprozess.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagte den 33-jährigen syrischen Wachmann im Mai vergangenen Jahres mit zwei Stichen in die Brust tötete. Das Motiv der Angeklagten sei gewesen, ein erneutes Hausverbot in einer Geflüchtetenunterkunft zu unterbinden. Ihr Asylantrag war abgelehnt worden.

Das Opfer war ein Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma aus Werder (Havel). Er war 2015 vor dem Bürgerkrieg in Syrien nach Potsdam geflüchtet. Die Tat am 30. Mai 2024 hatte einen großen Polizeieinsatz bei der Suche nach der Tatverdächtigen nach sich gezogen.

Ebenfalls angeklagt war die 38-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung: Im Februar 2023 soll sie während eines Streits in der Gemeinschaftsunterkunft an der Pirschheide eine Mitbewohnerin leicht mit einem Messer verletzt haben.

Die Frau war zuvor sukzessive aus mehreren Einrichtungen geflogen. Sie galt als verhaltensauffällig, beleidigte und bespuckte Mitmenschen. Es kam auch zu körperlichen Angriffen auf andere Bewohner in den Einrichtungen.

Die Verteidigung hatte hinsichtlich des Tatvorwurfs des Totschlags einen Freispruch gefordert. Tatsächlich konnte das Tatwerkzeug nicht gefunden werden. Auch das Motiv warf im Laufe des Prozesses immer wieder Fragen auf. Die Staatsanwaltschaft selbst hatte von einem Indizienprozess gesprochen.

Unterschiedliche Reaktionen auf Urteil

Die Urteilsverkündung stieß am Mittwoch auf großes Interesse. Am Eingang des Justizzentrums bildete sich am Morgen eine lange Schlange vor der Sicherheitsschleuse. Ein gutes Dutzend Besucher sowie Medienvertreter fanden keinen Platz mehr im Gerichtssaal.

Die Reaktionen fielen bei den Prozessbeobachtern unterschiedlich aus. Mehrere Familienmitglieder und Kollegen des Opfers hielten auf dem Flur des Justizzentrums Fotos des Opfers. Das Strafmaß hielten mehrere für zu niedrig. Das Opfer sei „für immer nicht mehr am Leben“. Verglichen damit seien zwölf Jahre und acht Monate kurz, sagte ein früherer Kollege des Opfers. Laut Strafgesetzbuch drohen für Totschlag mindestens fünf Jahre Haft, in besonders schweren Fällen lebenslänglich.

Unterstützern der Angeklagten zeigten sich enttäuscht. Das Gericht habe über den gesamten Prozess die Lebenssituation der Angeklagten als trans Frau nicht in Bezug zu den Konflikten mit ihrem Umfeld gesetzt, sagte eine junge Frau aus der Gruppe „Justice for Cleo“. Ihre Diskriminierungserfahrungen würden hingenommen und lediglich die Reaktion darauf als Problem wahrgenommen. Es sei nur nach Anhaltspunkten gesucht worden, die die Angeklagte belasten, während andere Szenarien nicht verfolgt worden seien.

Erneut kritisierten sie auch das psychiatrische Gutachten. Darin war die Transsexualität der Angeklagten angezweifelt worden. Ihr Verhalten sei nicht typisch für eine trans Frau. Ein Gespräch zwischen Gutachter und Angeklagter hatte es nicht gegeben, weil sie dies abgelehnt hatte. Mit Verweis auf das Gutachten bezeichnete das Gericht die Angeklagte im Urteil nun als Mann, nachdem es die Angeklagte während der vorangegangenen neun Verhandlungstage immer als Frau angesprochen hatte.

Angeklagte will in Revision gehen

Die Gruppe übermittelte am Mittwoch auch ein Statement der Angeklagten. „Ich bin unschuldig. Ich habe dieses Verbrechen nicht begangen“, heißt es darin. Von Anfang an habe es Vorurteile gegen sie gegeben. Entsprechend kündigte sie an, gegen das Urteil Revision einlegen zu wollen.

Die Angeklagte richtete auch Worte an die Angehörigen des Opfers: „Mein tiefstes Mitgefühl gilt Ihnen. Sie verdienen die Wahrheit darüber, was wirklich passiert ist. Ich hoffe immer noch, dass die wahren Täter eines Tages gefunden und vor Gericht gestellt werden.“ (mit dpa)

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