Von Kay Grimmer: Verantwortung und Vergesslichkeit
Potsdamer und Touristen der Stadt über Lust und Frust an der Europawahl 2009
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Der Aufruf von Brandenburgs Ministerpräsident, dem Babelsberger Matthias Platzeck, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen, fand gestern bei den Potsdamern offenbar nicht überall den gewünschten Widerhall. „Kein Interesse, keine Ahnung, keine Lust“ lauteten die häufigsten, anonymen Reaktionen, wenn es um den Grund des Nicht-Wählens ging. So blieb die Beteiligung am Kreuzchenmachen bis 14 Uhr mit 15,3 Prozent bereits 0,6 Prozent niedriger als bei der ohnehin schon extrem niedrigen Wahlbeteiligung 2004. „Ich fühle mich einfach schlecht informiert“, erklärte die Potsdamerin Ina Neuendorff den Grund, bisher nicht gewählt zu haben. Zwar würde sie vielleicht doch noch die Stimme abgeben, sagte sie am Nachmittag, aber die Arbeit ließe ihr kaum Zeit, sich mit der Wahl auseinanderzusetzen. Dabei sei Europa wichtig, machte der Potsdamer Andreas Keller klar, der per Briefwahl seine Stimme abgegeben hatte und gestern seine Frau beim Wahlgang begleitete. „Europa ist aber zu weit weg für viele“, zog er seinen Schluss aus dem allgemeinen Desinteresse.
Für viele, die ihre Stimme abgaben, war es wichtig, grundsätzlich die eigene Meinung auszudrücken. „Ich gehe immer wählen, weil ich verantwortungsbewusst bin“, sagte Sabine Heinrich, die vor dem Sonntagsausflug nach Potsdam zu Hause im Landkreis Dahme-Spree ihre Stimme abgegeben hatte. Der Potsdamer Sebastian Machleb erklärte, „für eine Demokratie muss auch etwas getan werden“. Zwar sei er eher europakritisch eingestellt, weil die Transparenz in der EU fehle, „aber es ist wichtig, trotzdem zu wählen.“
Punkt acht Uhr stand in der Voltaire- Schule der erste Wähler an der Wahlurne. „Wir haben gut zu tun“, sagte Wahlvorstand Tino Ziemann. Auch Läufer des Schlösser-Marathons nahmen nach erfolgreich absolvierter Strecke den Umweg übers Wahllokal, um ihr Kreuz zu setzen. „Knapp 30 Prozent Beteiligung dürften wir schaffen“, glaubte Ziemann. Regelrecht glücklich über das Wählerinteresse war man in der Eisenhart-Schule. „Bei der Europawahl 2004 saßen wir fünf Stunden allein. Diesmal kommen die Wähler stetig“, sagte Wahlvorstand Dagmar Fischer. Mit den Briefwählern des Bezirks hatte dort am Nachmittag bereits mehr als jeder Dritte seine Stimme abgegeben.
Nicht dazu gehörte Daniel Veyel. Der Neu-Potsdamer zog erst vor einigen Tagen von Schwäbisch Hall in die Mark. „Ich bin noch nicht umgemeldet und habe die Briefwahl vergessen“, bedauerte er, denn „sonst würde ich wählen“. Gewissenhafter war da Gertrud Lichius aus dem Sieg- Main-Kreis, die wegen der Reise nach Potsdam schon „vorgewählt“ hatte. Doch nicht alle Touristen waren so vorausschauend. Eine zehnköpfige Reisegruppe aus Rheinland-Pfalz erklärte geschlossen, kein Kreuz gesetzt zu haben. Man habe schlicht vergessen, dass der Wochenendausflug nach Potsdam just auf den Wahlsonntag falle, klang die Begründung unbekümmert.
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