zum Hauptinhalt

Homepage: Verbrechen im Namen des Staates

Konferenz zur NS-Zeit in der Lindenstraße 54/55

Stand:

Mitten in Potsdam liegt ein Ort des Unrechts und des Grauens. Nur die Gitter vor den Fenstern deuten an dem Haus in der Lindenstraße 54/55 darauf hin. Betritt man aber den Hof des stattlichen Bürgerhauses aus dem 18. Jahrhundert, ist es mit der Idylle vorbei: Der Besucher steht auf einem Gefängnishof. Rostige Stahltüren, vergitterte Fenster und Elektrodraht deuten auf eine dunkle Vergangenheit hin. Seit Anfang 2007 beherbergen die Zellentrakte eine Ausstellung über die Historie des ehemaligen Stasi-Gefängnisses. Doch die Geschichte des staatlich verordneten Unrechts reicht an diesem Ort noch weiter. Schon zu Zeiten des Nationalsozialismus war die Lindenstraße 54/55 ein Ort der gewaltsamen Unterdrückung von Widerstand.

Auf einer Konferenz in diesen Räumen hat jüngst das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) die Strafjustiz im Nationalsozialismus zum Thema gemacht. Ein „weitgehend unerforschtes“ Kapitel des Hauses Lindenstraße 54/55, wie Dr. Hans-Hermann Hertle vom ZZF bei der Eröffnung sagte. So trafen auf der Konferenz zwei historische Epochen aufeinander. Auch bei den Betroffenen: Konferenz-Besucher Kurt Lotz aus Schmergow bei Potsdam wurde im Jahr 1985 wegen „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme zum Klassenfeind“ von der Stasi verhaftet. Ein halbes Jahr lang war er in der Lindenstraße inhaftiert. Die Referentinnen Dr. Bärbel Schindler-Saefkow und Dr. Annette Neumann hingegen sind von NS-Unrecht betroffen. Ihre Väter wurden im Jahr 1944 in der Aktion „Gewitter“ von der Gestapo verhaftet. In der Lindenstraße 54/55 erlebten die Widerstandskämpfer der so genannten Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe die „geballte Wirkung der Nazi-Justiz der Endzeit“, so Annette Neumann in ihrem Vortrag. Die Folterungen, die an diesem Ort stattfanden, zeigten Wirkung. Die Widerstandsgruppe aus KPD-Sympathisanten wurde zerschlagen. Anton Saefkow wurde im Gefängnis Brandenburg-Görden hingerichtet. Annette Neumanns Vater hingegen überlebte im KZ Ravensbrück den Krieg: Seine Kenntnisse als Flugzeugbauer retteten ihm das Leben.

Von 1934 bis 1944 befand sich in der Lindenstraße 54/55 der Sitz des „Erbgesundheitsgerichtes“ Potsdam. Hier wurde über die Zwangssterilisation von psychisch Kranken und Behinderten entschieden. Ab dem Jahr 1940 saßen jüdische Häftlinge und Zwangsarbeiter in dem Gefängnis ein. Und in dem Jahr 1944 zog eine besonders berüchtigte Institution des Nazi-Regimes nach Potsdam: Der „Volksgerichtshof“ war in Berlin ausgebombt worden. Bis zu der Befreiung des Gefängnisses durch die Rote Armee am 27.4.1945 ging das höchste Gericht für politische Delikte seiner Arbeit in der Lindenstraße nach.

Das Bild des fanatischen Gerichtspräsidenten Roland Freisler, der sich trotz seines Richteramtes als „politischer Soldat Hitlers“ verstand, stand auf der Tagung für eine besondere Form von politisierter Justiz. Die Vorwürfe an die Angeklagten lauteten auf „Wehrkraftzersetzung“, „Spionage“ oder schlicht „Heimtücke“. Wie Dr. Claudia Steur von der Berliner Stiftung Topographie des Terrors deutlich machte, folgte das Gericht einer schwer verständlichen Logik. Es gab viele Todesurteile, aber auch überraschende Freisprüche. Die Revision eines Urteils war ausgeschlossen.

Nun soll die bestehende Ausstellung über das Stasi-Unrecht um die NS-Zeit erweitert werden. Ermöglicht wird dies durch den kürzlich erfolgten Auszug der Unteren Denkmalbehörde aus den Räumlichkeiten in der Lindenstraße. Seit dem Jahr 1995 kümmert sich die „Fördergemeinschaft Lindenstraße“ zusammen mit dem „Potsdam Museum“ um die Gedenkstätte. Die Konferenz war Teil der wissenschaftlichen Vorarbeit zur Erweiterung der Gedenkstätte. Die Finanzierung des Projekts ist noch offen. Die Initiatoren hoffen auf Beiträge der Stadt, des Landes und auf Sponsoren. Auch brauche die bestehende Gedenkstätte eine bessere finanzielle Ausstattung, sagte Gabriele Schnell von der „Fördergemeinschaft Lindenstraße“. Die „Selbstausbeutung“ der ehrenamtlichen Helfer habe ihre Grenzen erreicht. Mark Minnes

Mark Minnes

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })