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Landeshauptstadt: Verbrechen vor aller Augen

Die Historikerin Almuth Püschel über Zwangsarbeiter in Potsdam: 1944 mehr als 18 000 in der Stadt

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Es war Almuth Püschel, die in ihrem Standardwerk „Zwangsarbeit in Potsdam“ erstmals auf das Schicksal der jungen Polin Bronislawa Czubakowska hinwies. Dies war der Initialfunke für ein zweijähriges deutsch-polnisches Schülerprojekt über die 1942 in Potsdam zum Tode verurteilte Zwangsarbeiterin aus Zgierz. Die Ergebnisse der Schülerforschungen sind derzeit und noch bis zum 15. Juli im Landtag in der Ausstellung „Ein polnisches Menschenschicksal“ zu sehen. Als Begleitprogramm beleuchtete die promovierte Historikerin Püschel in einer Podiumsdiskussion die Dimension der Zwangsarbeit während des II.Weltkrieges in der Stadt Potsdam. „Zwangsarbeiter kamen in Potsdam flächendeckend zum Einsatz“, so ihre Eingangsthese. Wie eine Statistik des Arbeitsamtes Potsdam auswies, waren 1944 genau 18 140 Zwangsarbeiter in Potsdam registriert. In Berlin waren es 337 000, im Land Brandenburg 333 000, über 15 Millionen in ganz Deutschland in den Jahren 1939 bis 1945. Dazu zählten Kriegsgefangene, aber auch eine Vielzahl von Zivilisten, die „unter verschiedensten Konditionen hierher kamen“, so die Historikerin. Sie wurden mit haltlosen Versprechungen angeworben oder vielfach zwangsrekrutiert. Den Fall Bronislawa Czubakowska – die Polin starb im Alter von 26 Jahren in Berlin-Plötzensee unter dem Fallbeil – hält Almuth Püschel für ein sehr gutes Beispiel, „um das Problem Zwangsarbeit zu individualisieren“. In Potsdam arbeiteten Püschel zufolge Zwangsarbeiter unter anderem in den Arado-Werken, in der Firma Orenstein & Koppel, in Sägewerken, Gärtnereien und auch bei der Stadtverwaltung, die sogar ein eigenes Lager für Zwangsarbeiter unterhielt. Ferner waren Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen eingesetzt – bei der Hoffbauerstiftung, im Oberlinhaus, im St.Josefs-Krankenhaus, im städtischen Klinikum. Zu den Arado-Werken fand die Historikerin in den Archiven Beschwerden von Niederländern, die nicht so schlecht behandelt werden wollten wie die Polen. Auch ist überliefert, dass sich das Küchenpersonal dort an der ohnehin kargen Kost der Zwangsarbeiter vergriff. Almuth Püschel stellte klar, dass der Nürnberger Prozess Zwangsarbeit als Verbrechen einstufte – auch wenn heute von älteren Leuten gelegentlich der Hinweis kommt, „unsere Maria, unser Jean hatte es gut bei uns“. Dies sei vielfach eine Schutzbehauptung. Zwangsarbeit, so Almuth Püschel, „war ein Verbrechen der Nazis, das vor aller Augen stattfand“. Jeder habe davon gewusst, die Lager seien nicht zu übersehen gewesen, etwa in der Großbeerenstraße 215 und 235 hinter dem Bahnhof Drewitz, wo die Lagerflächen noch erkennbar seien. Sie kenne keine Aktionen, die der Zwangsarbeit in Potsdam gedenkt. Ihrer Ansicht nach wäre es angebracht, mit einer Plakette etwa am heutigen Schulungszentrum der Bahn AG am Bahnhof Wildpark (Kaiserbahnhof) an das sich damals dort befindliche Zwangsarbeitslager zu erinnern.

Michael Kindler von der Gemeinde St. Peter und Paul erklärte, das St. JosefsKrankenhaus habe sich schon in einer Festschrift zum 100. Jubiläum 1962 dem Thema Zwangsarbeit im eigenen Haus gewidmet. Die dort arbeitenden Frauen aus Osteuropa wären völlig verwahrlost nach drei Wochen Zugfahrt in Potsdam eingetroffen und vom Krankenhaus aufgenommen worden. Später haben sie Kindler zufolge gegenüber der Roten Armee Auskunft gegeben, immer gut behandelt worden zu sein. Kindler erklärte, das Krankenhaus habe immer wieder Personal, das zur Front eingezogen werden sollten, als unabkömmlich deklariert. Irgendwann insistierten die Nazi-Behörden und boten Zwangsarbeiter als Ersatz an. Hätte das Krankenhaus diese abgelehnt, hätte es sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Rekrutierungsbehörden über den Personalbedarf belogen zu haben. Guido Berg

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