zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Verdächtige Stempel

Im Potsdam Museum werden die Besitzer von Büchern erforscht, die zur NS-Zeit enteignet wurden

Stand:

Einige Bücher, die in den 1960er-Jahren den Weg in das Potsdam-Museum fanden, trugen den Stempel des „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“. Bedenken hatte wegen dieser Stempel lange Zeit niemand – bis sich Deutschland 1998 wie 43 andere Staaten zur „Washingtoner Erklärung“ zur Restitution von Kulturgütern bekannte. Laut dieser – rechtlich nicht bindenden – Erklärung sollen die in der Zeit des Nationalsozialismus ihren meist jüdischen Eigentümern „verfolgungsbedingt entzogenen“ Kulturgüter zurückgegeben werden.

Erstmals im Juni 2011 erhielt das Potsdam Museum Fördermittel für die sogenannte Provenienzforschung, seitdem wird die Herkunft zahlreicher Objekte im Museumsbestand erforscht. Nach zwei Jahren wurde die Potsdamer Förderung kürzlich um ein Jahr verlängert (PNN berichteten).

Ein Grund für die Förderung sin d eben jene Bücher, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie in der NS-Zeit unfreiwillig den Besitzer wechselten, wie Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung in Berlin, sagt. Seitdem wird geprüft, woher die Bücher stammen könnten. Das Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands wurde 1935 gegründet und hatte zur Aufgabe, sich im Sinne der Nationalsozialisten mit der „Judenfrage“ zu beschäftigen. Es sollte eine Rechtfertigung für ihre antijüdische Politik liefern. Das Institut, sagt Historiker Hartmann, sollte unter anderem jene Bücher aus den öffentlichen Bibliotheken einzusammeln, die wegen ihres Inhalts nicht mehr ausgeliehen werden sollten.

Der ungewöhnlich umfangreiche Buchbestand in Potsdam hatte auf den ersten Blick mit der Stadt oder auch mit einer Hausbibliothek für die eigene wissenschaftliche Arbeit wenig zu tun, so Hartmann. So war unklar, wie diese Exemplare ausgerechnet nach Potsdam kamen. Doch ein damaliger Mitarbeiter des Musseums konnte zur Lösung des Rätsels beitragen: Offenbar kannte er eine der Auslagerungsstätten des Reichsinstituts, in die die Werke angesichts des nahenden Krieges gebracht worden waren – weil er zuvor selbst dort gearbeitet hatte. Mit einigem zeitlichen Abstand bemühte er sich darum, die Bücher in das Potsdamer Museum zu bekommen. Unter anderem zu diesen Büchern wurde in den vergangenen Jahren geforscht. „Der Kollege steht noch längst nicht am Abschluss", sagt Hartmann. Auch die Herkunft zahlreicher Objekte wie Gemälde oder Skulpturen, die vermutlich in jüdischem Besitz waren, wird erforscht, so Hartmann.

Die Herkunft des eigenen Bestandes zu kennen, wird für die Museen immer wichtiger. Schon manches Mal wurde gefordert, auch die Auf- und Weiterverkäufe des Staatlichen DDR-Kunsthandels – damals angesiedelt im Bereich Kommerzielle Koordinierung – unter die Lupe zu nehmen und Kunstwerke, die private Kunstsammler unter Druck abgaben, gegebenenfalls zu restituieren. Politische Mehrheiten fanden sich dafür bisher nicht.

Derzeit sind auf www.lostart.de, der Internet-Datenbank zur Erfassung von Kulturgütern unklarer Provenienz, 30 Werke aus dem Potsdam Museum im Bereich „Gefunden“ eingestellt. Das heißt, dass ihre Herkunft unklar ist – wer sie vermisst, kann sich melden. Neben zwei Leuchtern aus Jerusalem, die 1965 aus dem aufgelösten Heimatmuseum Beelitz nach Potsdam kamen, sind dort auch 28 Bücher aufgeführt. Das Themenspektrum ist vielfältig: Der erste Teil einer zwölfbandigen Talmud-Ausgabe aus dem Jahr 1715 ist ebenso darunter wie eine hebräisch-griechisch-deutsche Bibel-Synopse von Martin Luther aus dem Jahr 1741. Auch ein Exemplar der Wochenschrift „Die Internationale“ aus dem Jahr 1919 ist darunter.

Das Potsdam Museum ist nicht die einzige Institution in Potsdam, die sich um Fördermittel zur Provenienz bemühte. Der Museumsverband Brandenburg wurde zweimal wegen kurzfristigen Recherchebedarfs in einigen der 28 Stadt- und Regionalmuseen in Brandenburg gefördert. Von März 2010 an erhielt auch die Stiftung Preussische Schlösser und Gärten für ein Jahr Forschungsgelder. Seit 2008 fördert das Bundesministerium für Kultur die Provenienzforschung – bis 2011 mit je einer Million Euro, seitdem mit je zwei Millionen Euro jährlich. Bis November 2012 wurden von 200 Förderanträgen unter anderem aus Bibliotheken, Archiven und Museen 145 Anträge bewilligt. Die Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek hat seitdem laut www.lostart.de die ehemalige Gräflich zu Lynarsche Fideikommiß Bibliothek mit 183 Objekten restituiert.

Ingmar Höfgen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })