Landeshauptstadt: Verlorene Nachbarn
Am 3. Juli werden die ersten Stolpersteine verlegt – Schüler recherchierten sieben jüdische Schicksale
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Innenstadt - Nach zweieinhalb Jahren Anlaufzeit ist es soweit: Am kommenden Donnerstag werden in Potsdam die ersten „Stolpersteine“ verlegt. Mit den Gedenktafeln aus Messing soll an Potsdamer Juden erinnert werden, die zur Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. Zur Verlegung wird der Kölner Künstler Gunter Demnig, der das europaweite Gedenk-Projekt vor mehr als zehn Jahren initiiert hat, nach Potsdam kommen. Auch Nachfahren der jüdischen Opfer werden erwartet. Am Abend ist eine Festveranstaltung im Filmmuseum geplant, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) gestern vor Journalisten erklärte.
Dann soll unter anderem ein Film gezeigt werden, in dem die Schüler ihre Recherche-Arbeit dokumentieren. Insgesamt sieben jüdische Schicksale haben Schülerinnen und Schüler aus der Voltaire-Gesamtschule und dem Helmholtz-Gymnasium in den vergangenen Monaten recherchiert und dabei teilweise Kontakte zu den Nachfahren im Ausland aufgebaut (PNN berichteten). So machte Voltaire-Schülerin Hanna Tinney beispielsweise Kurt Gormanns im israelischen Haifa ausfindig: Der 88-Jährige hatte die Eltern und seinen jüngeren Bruder durch den Holocaust verloren. In einem Brief an Hanna Tinney berichtete er von seinen Erinnerungen an Potsdam.
Auch Nachfahren der 1943 in Theresienstadt gestorbenen Potsdamerin Bertha Simonsohn spürten die Voltaire-Schüler mit ihrer Religionslehrerin Ulrike Boni-Jacobi auf. Mit Simonsohns Enkel in London stehen sie jetzt in regem E-Mail-Kontakt: Melvyn Simonsohn will zur Stolperstein-Verlegung nach Potsdam kommen.
„Durch das Projekt ist uns bewusst geworden, dass wir die Familie Gormanns und die Familie Simonsohn als Nachbarn in Potsdam verloren haben, und zwar für immer“, sagte Voltaire-Schülerin Nele Pröpper gestern: „Dafür haben wir ihre Nachfahren als Freunde gewonnen.“ Ihre Klasse werde den bei der Projektarbeit entstandenen Film beim Wettbewerb „Israel und ich“ einreichen, den das Landesinstitut Schule und Medien Berlin-Brandenburg momentan ausgeschrieben hat.
Oberbürgermeister Jakobs würdigte die „spannende, emotional belastende Auseinandersetzung“ der Schüler mit den Geschichten von „Familien, die aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden sind“. Er sei froh, dass ihre Schicksale Unterrichtsthema geworden sind – und die Ergebnisse durch das Stolperstein-Projekt der Allgemeinheit zugute kommen.
Bereits Anfang 2006 hatten die Stadtverordneten auf Antrag der Fraktion der Grünen die Unterstützung des Projekts beschlossen. Einer Verlegungstermin für „Stolpersteine“ war jedoch zuletzt im Juli 2007 geplatzt. Grund war damals das offenbar spurlose Verschwinden der Initiatorin, einer Potsdamer Historikerin. Laut ihren Vorrecherchen gab es in der Landeshauptstadt mindestens 123 Holocaust-Opfer.
Organisiert wurde das Projekt danach unter Leitung der Stadtverwaltung, Bereich Kultur und Museum und mit maßgeblicher Unterstützung des Rechtshistorikers Wolfgang Weißleder. Die Kosten für die jetzt verlegten sieben Steine – je 95 Euro – wurden von privaten Spendern getragen, darunter auch Jann Jakobs. Es gebe bereits zwölf neue Spender, sagte Birgit-Katherine Seemann, die Leiterin des Bereichs Kultur und Museum, gestern. „Ich hoffe, dass wir Nachahmer finden“, erklärte Jakobs.
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