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Homepage: Verzerrtes Wunschgebilde

Der britische Historiker Christopher Clark sprach im Einstein Forum über Preußentum und Nationalsozialismus

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Mit einem Federstrich beendeten die alliierten Siegermächte vor mehr als einem halben Jahrhundert die staatliche Existens Preußens. Doch die Faszination Preußen hielt an. Heute wird gern an die Tugenden des aufgeklärten Preußen, an die Tafelrunde des Alten Fritz in seinem Domizil Sanssouci, an Schinkel oder die Stein-Hardenbergschen Reformen erinnert. Im Schatten der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges überwog indes lange Zeit das Bild einer unheilvollen Symbiose aus preußischem Militarismus und Nationalsozialismus. Sinnfällig ausgedrückt im Handschlag zwischen dem gerade zum Reichskanzler ernannten Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg vor der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933.

Doch das Verhältnis Preußens zum Nationalsozialismus ist so ambivalent wie die Geschichte der Großmacht selbst. Das zumindest befand der britische Historiker Christopher Clark vergangene Woche in einem Gastvortrag am Einstein Forum. Mit seiner monumentalen Gesamtschau zur Geschichte Preußens hat der an der University of Cambridge lehrende Clark im vergangenen Jahr für Furore gesorgt. Und so strömten auch an diesem Abend zahlreiche Interessierte ins Einstein Forum.

Vieldiskutiert ist noch immer die Funktion des alten Preußen als „Steigbügel“ für den Aufstieg Hitlers. Clarks Urteil fällt differenziert aus. Zwar hätten sich nicht wenige aus den Reihen ostelbischer Gutsbesitzerfamilien bereitwillig in die Arme der Nazis geworfen. Auch sei ohne führende Köpfe der preußischen Elite die „Machtergreifung“ Hitlers kaum denkbar gewesen. Sie hielten ihm in jenem entscheidenden Moment die Hand, als der Stern der Nationalsozialisten mit der letzten freien Reichstagswahl im November 1932 schon wieder im Sinken begriffen war. Die NSDAP hatte gegenüber dem nur Monate zuvor stattgefundenen Urnengang immerhin zwei Millionen Stimmen eingebüßt. Als den eigentlichen Totengräber Preußens und Deutschlands macht Clark dabei jedoch Hindenburg aus, der nun gerade alles andere als preußisch gewesen sei. Und viel zu selten würde das andere Preußen gezeigt. Verkörpert etwa von einem Otto Braun, der als Ministerpräsident des größten deutschen Landes ein entschiedener Verfechter der Demokratie war. Dieses republikanische Preußen sei schließlich dem von Hindenburg und Reichskanzler Franz von Papen ausgeführten „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932 erlegen, als die Regierung Braun aus dem Amt gejagt wurde. Es war der Auftakt zum Untergang Preußens und mithin Deutschlands.

Der nationalsozialistische Lobgesang auf Preußen zog sich hernach wie ein roter Faden durch das Dritte Reich, so Clark. Goebbels habe mit Vorliebe argumentiert, des Führers Reich sei die Erfüllung wahren Preußentums – ein bewußt nebulös gehaltener Terminus. Überhaupt habe keiner so „regelmäßig ins preußische Horn geblasen“ wie der Propagandaminister, der mit seiner perfekten Inszenierung des „Tags von Potsdam“ einen genialen Coup gelandet hatte. Selbst in der Architektur habe sich der Rückgriff auf Preußen gezeigt, etwa beim Bau der Führerschule im bayerischen Sonthofen. Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer war ein bekennender Schinkelfan. Kaum zufällig habe sich jedoch die Formensprache der oft an finstere Trutzburgen erinnernden Architektur des Dritten Reiches ausgerechnet an die mächtigen Bauten des Deutschen Ordens angelehnt. Als Projektionsfläche für den „schillernden Fetisch“ Preußen habe sich insbesondere das Medium Film angeboten. Filme wie „Kolberg“ (Regie: Veit Harlan) offenbarten aber zugleich, wie wenig den Nazis an historischen Fakten gelegen war, wenn es um die Verbindung zum preußischen Mythos ging. Die reale Niederlage einer preußischen Garnison gegen französische Truppen 1807 wurde in einen triumphalen Sieg über Napoleon 1813 umgemünzt – und sollte als Vorbild für die Deutschen im Kampf um den Endsieg dienen. Bei der Premiere des Films zum 10. Jahrestag der Machtergreifung am 30. Januar 1945 – in einem notdürftig reparierten Kino Berlins und in der umkämpften „Atlantikfestung“ La Rochelle – lag das Deutsche Reich indes bereits am Boden. Der Propagandaeffekt verpuffte in der Trümmerwüste Europas.

Clarks mit der Gelassenheit des Außenstehenden gehaltener Vortrag, wohlwollend kommentiert von Heinrich August Winkler, hat deutlich gemacht, wie das ideologisch bestimmte Bild von Preußen ein verzerrtes Wunschgebilde entstehen ließ. Die Nazis hätten sich all das aus dem Album Preußen ausgesucht, was für die eigene Traditionslinie geeignet schien. Und dabei unbequeme Details oder nicht ins Bild passende Elemente geflissentlich ausgespart. So sehr preußische Eliten mitverantwortlich für den Aufstieg Hitlers waren – Clark hat gezeigt, wie stark die Beziehung zwischen Preußen und Nationalsozialismus von Widersprüchen gekennzeichnet war. Und sich damit nicht auf den „Tag von Potsdam“ reduzieren läßt.

Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600-1947, DVA (München) 2007, 896 S., € 39,95.

Carsten Dippel

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