Landeshauptstadt: Viele Schornsteine und ein Komma zu viel
Preußenkrimi-Autor Tom Wolf hat ein jetzt ein Buch über Potsdam geschrieben: „111 Orte in Potsdam, die man gesehen haben muss“ macht Lust auf ganz neue Stadtspaziergänge
Stand:
Dass der Schlaatz es mal in einen Potsdam-Stadtführer schaffen würde – hätten das die DDR-Stadtplaner für möglich gehalten? Jedenfalls hat Schriftsteller Tom Wolf es getan: Einer von 111 Orten in Potsdam, die man gesehen haben muss, ist das Plattenbau-Wohngebiet am Nuthelauf. „Es war das letzte Großbauprojekt der DDR. Und zum ersten Mal wurden hier keine Namen wie Thälmannplatz vergeben, sondern die Straßen nach heimischen Tieren und Pflanzen benannt“, so Wolf. Was der Autor sonst noch über den Schlaatz herausfand, steht im gleichnamigen Potsdam-Buch neben einem sehr exemplarischen Foto dieses Plattenbauviertels. Und doch schaut man als Leser – egal ob Potsdamer oder Ortsfremder – demnächst wohl genauer auf dieses Wohngebiet.
So ist es gedacht. Das Buch „111 Orte in Potsdam, die man gesehen haben muss“ ist kein reiner Touristenführer, im Gegenteil. Es ist möglicherweise gerade für Potsdamer interessant, weil es einen neuen Blick auf die vertraute Umgebung erlaubt. Und außerdem viele versteckte Orte benennt, an denen man als Alteingesessener bisher vorbeigelaufen ist. Wie die mysteriösen Küchentunnel im Babelsberger Park, die Schloss und Küche verbanden und heute nur noch als dunkle Öffnungen im Boden erkennbar sind.
Tom Wolf hat nie in Potsdam gewohnt. Doch während seiner zehn Jahre in Berlin schrieb er insgesamt zwölf Preußenkrimis. Und recherchierte gründlich in der alten Residenzstadt an der Havel. „Ich war fast jede Woche dort“, sagt er. Heute lebt er in der Prignitz. Das war aber kein Hindernis, nun ein Buch allein über die Stadt zu schreiben. Freunde und Bekannte halfen bei der Auswahl der Orte, und am Ende musste er aus 200 Vorschlägen aussieben.Jeden Ort besuchte er persönlich und machte gleich selbst Fotos.
Alphabetisch sind die 111 Ziele aufgelistet. Es geht weder um Schönheit noch Wichtigkeit. Es geht um Details, die diese Stadt ausmachen. Oft sind es nur letzte Indizien, an denen sich die Historie festmachen lässt. Wo am Haus Breite Straße/Ecke Dortustraße der Ochsenschädel von der Wand grinst, war einst eine Gewehrfabrik. Und von der Enver-Pascha-Brücke über den Griebnitzsee ist auch nur noch eine Behelfskonstruktion – und der geheimnisvolle Name voller Wohlklang – übrig.
Überhaupt hat Tom Wolf viel für versteckte Schätze im Potsdamer Hinterland übrig. Die „Düsteren Teiche“, ein Überbleibsel der letzten Eiszeit im Katharinenholz unterhalb des Pannenbergs, sind ein Biotop für allerlei Kleingetier, Frösche, Kröten und Unken. Unweit davon findet man den alten Gardeschießstand. Mitten im düsteren Laubwald eine wuchtige Ziegelsteinmauer, davor parallel mehrere Erdwälle. Hier wurden einst kaiserliche Gewehre eingeschossen. „Noch zu DDR-Zeiten herrschte hier deutsch-russischer Schießbetrieb“, schreibt Wolf.
Natürlich kommt auch Tom Wolf an den wichtigsten Potsdamer Sehenswürdigkeiten nicht vorbei – schaut aber genauer hin oder schlichtweg aus einer anderen Richtung. So nimmt er das komische Komma im Namen des Schlosses „Sans, souci“, so wie am Schloss zu sehen, unter die Lupe. Und hat versucht, unter anderem mithilfe eines Luftbildes die Schornsteine und Kamine des Schlosses Cecilienhof zu zählen. „Nicht einmal der Kastellan kannte die genaue Zahl“, sagt Wolf. Und erläutert im Buch gleich das Heizungssystem des historischen Gebäudes. Das Neue Palais hat Wolf aus einem sehr speziellem Blickwinkel fotografiert – indem er eine Kameraeinstellung aus Stanley Kubricks Film „Barry Lyndon“ wählte. Die Sichtachse zwischen Neuem Palais und Communs hindurch wirkt wunderbar historisch – noch immer.
Aus der Innenstadt haben es die Überreste sozialistischer Architektur, „Seerose“ und „Minsk“, ins Buch geschafft. Daneben stehen das Café Heider, das „Wohnzimmer der Stadt“, und historische Privathäuser – unter anderem in Babelsberg die Gugenheimvilla, in der Bertinistraße die Villa Hagen, weiterhin die Arbeitersiedlung am Schillerplatz, einst Vorzeigearchitektur inklusive Adolf-Hitler-Platz und Aufmarschgelände. Erinnert wird ebenso an die einstige DRK- Zentrale, heute Unicampus in der August-Bebel-Straße. Neben den Bildern, die irgendwie sympathisch wie touristische Schnappschüsse mit künstlerischem Anspruch wirken, stehen kurze Texte, die den jeweiligen Hintergrund breit beleuchten. Wolf hat viel recherchiert und das Interessanteste wie kleine Appetithäppchen aufbereitet. Und ist, auch wenn er bisweilen eine Nähe zum morbiden Charme der Stadt offenbart, der lebendigen Stadt gerecht geworden. Der geneigte Spaziergänger bekommt neben genauen Anfahrtsbeschreibungen auch Tipps, wo man nach den wilden Entdeckungen warm und trocken speisen kann. Im Restaurant „Gastmahl des Meeres“ allerdings nicht mehr – dieser Potsdam-Tipp flog aufgrund der Schließung aus dem Manuskript raus. „Schade, ich hatte schon das ,Goldene Fischbesteck’ an der Wand fotografiert“, sagt Wolf mit Bedauern. Dafür fand dann die Garnisonkirchenbaustelle Aufnahme. „Bis das nicht mehr aktuell ist, das dauert bestimmt noch etwas“, sagt der Autor.
Am Dienstag, dem 17. Februar, um 18.15 Uhr stellt Tom Wolf sein Buch in der Unibibliothek am Campus Neues Palais vor. 5 Euro kostet der Eintritt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: