Homepage: Vielschichtiger Sehnsuchtsort
Der Zeithistoriker Martin Sabrow sieht die historische Rolle der Garnisonkirche differenziert. Ein Wiederaufbau sollte auch die DDR-Geschichte miteinbeziehen
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Die historische Rolle der Potsdamer Garnisonkirche wird immer wieder als Argument gegen den Wiederaufbau des Gotteshauses ins Feld geführt. Auch die erst jüngst entstandene Initiative gegen den Wiederaufbau „Christen brauchen keine Garnisonkirche“ argumentiert damit, dass das nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zu DDR-Zeiten gesprengte Gotteshaus insbesondere für eine Kirche gestanden habe, „die sich von Obrigkeit und Militär in den Dienst nehmen ließ, Demokratie verachtete und auf politische Weisung Krieg predigte“. Eine Kirche, die der Einstimmung von Soldaten auf Gehorsam bis in den Tod gedient habe, lehnt die Initiative ab. Für diese Gegenposition werden seit gut zwei Wochen nun Unterschriften von Unterstützern gesammelt.
Eine historische Einordnung zu dieser Argumentation kommt nun vom Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), Martin Sabrow. Die Garnisonkirche sei in den vergangenen Jahren und besonders in den letzten Monaten zunehmend zu einer Projektionsfläche gegensätzlicher Zuschreibungen und Bilder geworden, sagte Sabrow gegenüber den PNN. „In dieser geschichtspolitischen Auseinandersetzung geht es nur vordergründig um die Vergangenheit der Kirche, tatsächlich aber um eine Fortsetzung einer vorher ebenso intensiv um den Landtagsneubau geführten Debatte um die Legitimität der städtischen Rekonstruktion preußischer Geschichtswahrzeichen.“
Natürlich habe Preußen und mit ihm die Garnisonkirche für den militaristischen Obrigkeitsstaat, für das wilhelminische Bündnis von Thron und Altar, für den Schulterschluss von nationalsozialistischer Revolution und konservativer Reaktion gestanden, gibt Sabrow zu bedenken. „Aber es stand eben auch für religiöse Toleranz und politische Aufklärung, für Rechtlichkeit und Pflichtbewusstsein, für Kunstsinn und Mäzenatentum, und es war Sehnsuchtsort von Kriegstreibern und Freigeistern zugleich, von schnarrenden Generälen ebenso wie von Voltaire oder Casanova“, erinnert der Zeithistoriker.
Sabrow ist ein differenzierter Blick auf das ehemalige Bauwerk wichtig. Die Bedeutung von Bauten reduziere sich nicht auf den Mitteilungswillen ihrer Erbauer, betont er. Und ihre Botschaft werde umso vielschichtiger und vieldeutiger, je mehr sie aus ihrer Entstehungszeit herausgewachsen sind. „Dies gilt auch für die Garnisonkirche, die seit ihrer Entstehung sowohl schlichte Militärkirche wie preußisches Walhalla, Symbolort der Machtergreifung wie Ausdruck nationalkonservativer Hitlerdistanz, Opfer sozialistischer Abrisspolitik wie Gegenstand historischer Stadtrekonstruktion geworden ist.“ Selbst in SED-Kreisen sei die kriegszerstörte Ruine keineswegs von Anfang an als Abrissobjekt gehandelt worden, erinnert der ZZF-Direktor. Noch bis kurz vor ihrem Abriss habe sie auch in der DDR manchem noch als erhaltenswertes Mahnmal gegen Krieg und Faschismus gegolten.
Den Gegnern des Kirchenaufbaus ist vornehmlich auch der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 ein Dorn im Auge. Der Handschlag von Reichspräsident von Hindenburg und Adolf Hitler vor der Kirche – eigentlich ein Abschiedsgruß, der dann zur ideologisch aufgeladenen Metapher wurde – gilt den Gegnern als Symbol für den Schulterschluss zwischen Konservativen und Nationalsozialisten. Die Garnisonkirche sei der Ort, an dem das verheerende Bündnis zwischen konservativem Bürgertum, preußischem Militär und Nazi-Führung mit kirchlichem Zeremoniell besiegelt wurde, heißt es von der neuen Initiative gegen den Wiederaufbau. So sei der Wiederaufbau auch eine Stellungnahme zu dieser Geschichte. Deshalb lehnen die Unterzeichner das Kirchenprojekt ab.
Sabrow sieht das in einem größeren Bedeutungsrahmen. Über den Authentizitätsgehalt eines historischen Nachbaus und über den Zweck eines Kirchenneubaus in einer weitgehend säkularisierten Landeshauptstadt könne man streiten, so Sabrow. „Wo beides bejaht wird, steht dem eine historische Belastung so wenig entgegen wie nach 1990 der Rekonstruktion und Wiedernutzung des Deutschen Reichstags, dessen Brandzerstörung am 27./28. Februar 1933 überhaupt erst die Veranlassung dafür gegeben hatte, die Eröffnung des am 5. März 1933 gewählten Reichstags nach Potsdam verlegen zu wollen“, erinnert der Historiker. Dass dieses Vorhaben damals am anhaltenden Widerstand gerade der evangelischen Kirche scheiterte und die Garnisonkirche am Ende nur zum Schauplatz einer staatsrechtlich belanglosen Zeremonie wurde, während die tatsächliche Reichstagseröffnung doch erst später am Tag in der Berliner Kroll-Oper stattfand, zählt für Sabrow zur Ironie einer Geschichte, „die Hell und Dunkel selten so klar zieht wie Grundstücksgrenzen und Baufluchten“.
Den Wiederaufbau der Garnisonkirche sieht der Zeithistoriker nicht ausschließlich im Licht ihrer geschichtlichen Bedeutung, sondern vielmehr auch im Rahmen ihrer zukünftigen Aufgaben. „Die Legitimität des Wiederaufbaus hängt weniger von ihrer historischen Patina ab als vielmehr von dem mit der Rekonstruktion verfolgten Zweck“, sagt er. Dass dieser in einer Revitalisierung preußischer Werte bestünde, sei angesichts des Unterstützerkreises mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs, Manfred Stolpe, an der Spitze abwegig. Sabrow sieht den Hintergrund der Aufbauinitiative vielmehr auch in der derzeit in Europa zu beobachtenden Wertschätzung der Vergangenheit, die frühere Fortschrittsbegeisterung ersetzt. Der aktuellen Aufbauinitiative rechnet er an, durch eine entmythisierende Umwertung die Authentizität des Gotteshauses von ihrer historischen Kontaminierung retten zu wollen. Doch werde das Vorhaben nur dann realistisch, wenn es die feine Trennlinie zwischen Mythos und Erinnerungsort nicht überschreite, schrieb er im vergangenen Jahr in einer Publikation der Potsdamer Militärhistoriker (Epkenhans, Michael/Winkel, Carmen, Hg.: „Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung“). Es gelte ein Zeugnis der Vergangenheit zu restaurieren, nicht aber die Vergangenheit selbst, so der Historiker.
„Unverantwortlich wäre es allerdings, mit der einen Vergangenheit die andere auslöschen und mit der Erneuerung einer älteren preußischen die jüngere sozialistische Vergangenheit aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis tilgen zu wollen“, betont Sabrow nun. So legitim der Wiederaufbau der Garnisonkirche auch sei, so wichtig ist dem Zeithistoriker auch der Erhalt von den Teilen des 1968 errichteten Neubaus des DDR-Rechenzentrums unweit des einstigen Standpunktes der Kirche, an dessen Fassade die sozialistische Diktatur ihr Fortschrittspathos künstlerisch in einem Mosaik verewigt hat. „Wer die Vergangenheit im Potsdamer Stadtbild bewahren will, sollte sich für das ganze Gedächtnis der Stadt engagieren und nicht nur für das halbe.“ Nur als Flickenteppich unterschiedlicher Vergangenheiten lasse sich der Vielschichtigkeit der städtebaulichen Auseinandersetzung mit dem „Geist von Potsdam“ gerecht werden.
HINTERGRUND
Zu der im August gegründeten Initiative „Christen brauchen keine Garnisonkirche“ gehören Persönlichkeiten wie Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die frühere brandenburgische Ausländerbeauftragte Almuth Berger oder der Pfarrer der Potsdamer Erlöserkirche, Konrad Elmer-Herzig, zugleich Mitbegründer der Ost-SPD während der Wende 1989. Die Initiative will dem Eindruck entgegentreten, alle Christen würden dem Vorhaben einhellig zustimmen. Die Garnisonkirche habe einst für eine Kirche gestanden, die sich von Obrigkeit und Militär in Dienst nehmen ließ, Demokratie verachtete und auf politische Weisung Krieg predigte, heißt es von den Initiatoren. Soldaten seien von der Kirche auf Gehorsam bis in den Tod eingestimmt worden. Aus diesen Gründen lehne man den geplanten Wiederaufbau der Kirche ab. Nach den gescheiterten Bemühungen für einen Bürgerentscheid zum Wiederaufbau der Garnisonkirche bleibt das Thema politisch heftig umstritten. Für die Stadtverordnetenversammlung am heutigen Mittwoch gibt es gleich drei unterschiedliche Anträge zur Zukunft des Projekts. So fordern zum Beispiel die Grünen – als Teil der SPD-geführten Rathauskooperation – einen neutral moderierten Diskurs zum „Versöhnungsort Garnisonkirche“, bei dem Befürworter und Kritiker öffentlich aufeinandertreffen sollen. (PNN)
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