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Landeshauptstadt: Vierzig Jahre unter der Haube

Annemarie Mittelstädt und Gretel Goldmann sind die dienstältesten Schwestern im Oberlinhaus

Stand:

Annemarie Mittelstädt und Gretel Goldmann sind die dienstältesten Schwestern im Oberlinhaus Von Sabine Schicketanz Es war ein bedeutsamer Tag im Leben von Annemarie Mittelstädt und Margarete Goldmann, dieser 1. September 1963. Die Kastanie mit ihrer weit ausladenden Krone, die vor der orthopädischen Fachklinik des Oberlinhauses Schatten spendet, war damals noch ein kleines Bäumchen. Und Annemarie Mittelstädt und Margarete Goldmann waren junge Mädchen. Es war ihr erster Diensttag im Oberlinhaus – und der Anfang einer Karriere als Urgestein. Denn noch immer arbeiten Schwester Annemarie und Schwester Gretel im Babelsberger Klinkerbau. Das vierzigste Dienstjahr haben sie gerade voll gemacht, so lange ist niemand anders „dabei“ im Oberlinhaus. Und wenn die beiden heute 56-jährigen Frauen in Rente gehen, werden es 46 Jahre sein, in denen sie mehr als Dienst nach Vorschrift geleistet und nicht einen Tag davon bereut haben. Beim Gedanken an den 1. September 1963 kichern die Schwestern wie die jungen Dinger, die sie damals waren. Im Dachgeschoss des Mutterhauses wurden die zwölf neuen Schwesternhelferinnen untergebracht, jede hatte Bett, Nachtschrank, Waschschüssel und Wasserkanne – getrennt nur durch Vorhänge, die geschlossen bleiben mussten. Es herrschten strenge Sitten: Im Sommer mussten die Mädchen um 22 Uhr, im Winter um 21 Uhr schlafen gehen. Darüber wachte die Hausmutter. Einmal im Monat durften sie ins Kino, in welchen Film, oblag ebenfalls dem Urteil der Hausmutter. Unglücklich, sagen Schwester Annemarie und Schwester Gretel, waren sie als „Haustöchter“ trotzdem nicht. „Wir fühlten uns wohl, wir waren sehr behütet.“ Die Eltern der beiden waren vor allem beruhigt. Schließlich waren sie Mädchen vom Dorf, aus Mecklenburg-Vorpommern. Dass sie Krankenschwestern werden wollten, hatten sie ihren Müttern schon früh klar gemacht. „Ich fand die Tracht immer so schön“, sagt Annemarie Mittelstädt. Bei ihrer Kollegin lag der Beruf sogar in der Familie: „Schon meine Mutter war Gemeindeschwester.“ Weiße Haube, Schürze und Kleid tragen die Oberlin-Schwestern schon lange nicht mehr. Geblieben aber sind ihnen die Werte. „Sein eigenes Ich zurückzustellen, den Kranken zu dienen und zu helfen – das haben wir gelernt“, sagt Gretel Goldmann. Und das befolgen sie und Annemarie Mittelstädt noch heute. „Überstunden bezahlen zu lassen, wäre uns damals im Traum nicht eingefallen. Auch jetzt müssen sie uns manchmal mit dem Knüppel nach Hause jagen.“ Geprägt hat sie besonders die verstorbene Oberin Huberta Müller. „Sie war unser Vorbild, in jeder Hinsicht.“ Selbst weltliche Politiker seien ihr mit „allerhöchster Hochachtung“ begegnet – und die jungen Schwestern schämten sich sehr, wenn die Oberin sie einmal ohne Haube auf dem Kopf antraf. Heute, so scheint es, sind Schwester Gretel und Schwester Annemarie es selbst, die die Oberlin-Klinik prägen. Sie haben in allen Stationen gearbeitet, „es gibt kein Mauseloch, das wir nicht kennen“. Gretel Goldmann war zehn Jahre Stationsschwester der Kinderstation, baute die so genannte Zentralsterilisation auf, verbrachte weitere zehn Jahre als Schwesternchefin der Intensivstation und richtete nach der Wende die Zentrale Einweisung ein. Heute macht sie dort Vertretungen und arbeitet hauptamtlich in der Ambulanz – wo Annemarie Mittelstädt von 1980 bis 1997 leitende Schwester war. Danach organisierte sie das Archiv für die gesamte Klinik, meterweise Akten liegen in ihrer Verantwortung. Auf die Nerven gehen die zwei Frauen sich nur höchst selten, obwohl sie sich seit vierzig Jahren nicht nur dienstlich fast jeden Tag sehen, sondern auch privat befreundet sind. „Und wenn, ist es nach einer halben Stunde vorbei“, sagt Schwester Gretel. „Wir kennen uns eben: Wenn die eine guckt, weiß die andere, was sie denkt.“ Und das schon seit dem 1. September 1963.

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