Sport: Vom heimischen Beton auf Potsdamer Rasen
Der palästinensische Fußballklub Diyar Bethlehem trainiert auf Einladung Matthias Platzecks derzeit bei Turbine – mit und ohne Kopftuch
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Niveen Alkoleeb musste erst nachzählen. „Acht von uns sind Moslems, die anderen Spielerinnen Christen“, sagte sie dann. Für die zwölf Fußballerinnen des palästinensischen Vizemeisters Diyar Bethlehem, die seit Samstag in Potsdam weilen und hier in dieser Woche – auch mit Unterstützung des Deutschen Meisters Turbine Potsdam – trainieren, ist die Religionszugehörigkeit zweitrangig. Die 28-jährige Stürmerin Alkoleeb – eine von sieben Nationalspielerinnen des Klubs – ist die einzige Kickerin, die während der Übungseinheit ein Kopftuch trägt; auch ihre 20-jährige Schwester Nadem, die im Tor steht, trainiert mit unverhülltem Haupt. „Das entscheidet jede von uns allein“, erklärte Niveen Alkoleeb am Montagvormittag am Rande des Trainings im Potsdamer Luftschiffhafen.
Daheim in Bethlehem trainieren die Akoleebs und ihre Mitspielerinnen auf Beton. Dort traf sie Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck im vergangenen Jahr bei einer Rundreise durch die Palästinensergebiete. „Ich war beeindruckt von ihrem Enthusiasmus, unter schwierigsten Bedingungen ihren sportlichen Traum zu verwirklichen, und habe sie nach Potsdam eingeladen“, erzählte Platzeck gestern, als er die Mannschaft im Luftschiffhafen kurz besuchte. Für deren Visite an der Havel stellte er 13 500 Euro aus Lottomitteln zur Verfügung, Turbine hilft mit Know-how und dem Bereitstellen des Trainingsplatzes.
„Hier auf Rasen oder Kunstrasen zu trainieren ist etwas Besonderes für uns. Zu Hause haben dieses Privileg nur Männermannschaften. Wir kommen nur nach langer Reservierung und ausnahmsweise dazu“, berichtete Jakline Jazrawi, die Mannschaftskapitänin. Die 26-Jährige spielt mit ihrem Verein Diyar in der ersten Liga, die seit zwei Jahren durch sechs Mannschaften gebildet wurde, und blickt auf 20 Länderspiele zurück. „Das erste war 2003 gegen Jordanien“, berichtete Jazrawi, die seit 2008 auch Spielführerin des Nationalteams ist und sich gestern beim Ministerpräsidenten und bei Turbine für deren Hilfe wortreich bedankte. „Das bedeutet uns sehr viel, denn unsere Gesellschaft war dem Frauenfußball nicht gleich zugänglich.“ Anfangs sei versucht worden, das Anliegen der Frauen kleinzuhalten. „Die Einladung hierher ist daher auch eine große moralische Unterstützung für unsere Mädchen. Die erleben zugleich, wie woanders trainiert und gespielt wird“, meinte Jakline Jazrawi, die in ihrer Heimat mittlerweile ein Umdenken spürt: „Es freut uns, dass jetzt auch viele männliche Nationalspieler beispielsweise auf Facebook ihre Freunde auf den Frauenfußball hinweisen.“
Daheim in Bethlehem ist die Mittelfeldspielerin beruflich als Lehrerin und Koordinatorin in einer Akademie tätig, in der 40 junge Fußballerinnen unter 14 Jahren ausgebildet werden. „Wir sehen in diesen 40 Mädchen unsere Zukunft. Vielleicht werden aus den 40 auch mal 80 und wir können international erfolgreicher sein“, sagte Jazrawi. Ihre Nationalmannschaft rückte bereits auf Platz 94 der Weltrangliste vor und verbuchte als bislang höchste Siege ein 18:0 gegen Kuwait und ein 17:0 gegen Katar. „Gegen Japan haben wir bisher zweimal verloren. Zuerst 0:17, dann nur noch 0:4. Und Japans Mannschaftskapitänin hat uns danach eine erstaunliche Entwicklung bescheinigt“, erzählte Jakline Jazrawi. Sie begreift die Reise ihrer Mannschaft nach Potsdam nicht nur als eine sportliche, sondern zugleich als eine politische Mission. „Wir haben die Möglichkeit zu zeigen, dass der Sport etwas gegen Kriege und radikale Ideen tun kann“, erklärte sie, während ihre Mitspielerinnen auf dem Kunstrasenplatz übten und demonstrierten, was sie technisch bereits draufhaben. Und die Christin Jazrawi bestätigte: „Die Religion der einzelnen Spielerinnen ist bei uns völlig nebensächlich.“
Von den Realitäten in Nahost eingeholt werden die palästinensischen Kickerinnen bei ihrer Rückreise am 30. Juli. „Wir müssen erst nach Jordanien fliegen und dann die Erlaubnis abwarten, nach Israel einreisen zu dürfen, um weiter nach Bethlehem zu kommen“, so Jazrawi. „Das kann schon anderthalb Tage dauern.“ (mit dpa)
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