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Landeshauptstadt: Vom Leben unter der Stromleitung

Das Haus von Elvira Starbati steht seit 75 Jahren unter der umstrittenen Energietrasse in Marquardt

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Als Elvira Starbati sprach, waren weitere rund 350 Besucher in der vollbesetzten Kulturscheune Marquardt still. „Ich bin dazu erzogen worden, zu achten, dass für Strom auch Leitungen gebraucht werden – zugleich habe ich gelernt, wie gefährlich das Leben unter so einer Leitung ist“, sagte die Seniorin am Dienstagabend bei einer Bürgerversammlung in Marquardt. Dort wurde über die umstrittenen Pläne zur Rekonstruktion der Stromtrasse, die Marquardt seit 75 Jahren durchschneidet, rund zwei Stunden debattiert. Zum Teil war die Stimmung aufgeheizt, weil wütende Anwohner, die Leitung aus ihrem Ortsteil verbannt sehen wollen.

Umso nachdrücklicher war der Auftritt von Elvira Starbati, die sachlich ihre Geschichte vom Leben unter der 110-Kilovolt-Leitung erzählte. Als die heute 68-Jährige und ihre Familie 1943 in das Haus des Großvaters in Marquardt zogen, war die Trasse schon da. 1936 hatten die Großeltern dem Bau der Leitung zustimmen müssen, noch heute steht im Grundbuch der Eintrag, dass die Trasse „zu dulden ist“. Seitdem hat Elvira Starbati in ihrer Familie „viele Krankheiten“ erlebt, sagt die frühere Ärztin und meint Krebs – auch wenn sie weiß, dass ein direkter wissenschaftlicher Nachweis für die Ursache der Erkrankung „schwierig“ ist. Bei sich bemerkt sie Kopfschmerzen, Schlaf- und Gedächtnisstörungen und Unwohlsein. „Es ist anstrengend, unter so einer Leitung zu wohnen“. Zudem fürchtete sie angesichts des Alters der Anlage mehr als einmal, dass bei Wind oder im Winter die Leitungen reißen könnten oder die Masten in ihr Haus stürzen. Im Juli 2007 fassten sie und ihre Nachbarn sich ein Herz, schrieben an die Chefs von Eon Edis. „Wir wollen und können nicht mehr unter dieser lebensbedrohenden Starkstromleitung leben“, hieß es in dem Schreiben. Wochen später antwortete der Konzern, die Leitung werde „weiterhin benötigt“, die technischen Normen seien erfüllt und die gesetzlichen Mindestabstände eingehalten.

Noch einmal will sich Elvira Starbati nicht abwiegeln lassen. Nach so vielen Jahren sei sie nicht mehr bereit, die Leitung über ihr Grundstück „zu dulden“, sagte sie am Dienstagabend. Sie appellierte an Eon Edis, „heute, im 21. Jahrhundert“, eine neue Lösung für eine Stromtrasse zu suchen. „Das ist ihre Pflicht und Schuldigkeit“, sagte sie dem anwesenden Eon Edis Netztechnik-Chef Harald Bock. Und fragte ihn: „Würden Sie denn unter so einem Mast wohnen wollen?“ Als Konzernvertreter Bock ihr antwortete, er würde unter so einer Trasse wohnen, lachten viele der Zuschauer im Saal lauthals auf – ihr Lachen klang so, als glaubten sie ihm kein einziges Wort. Henri Kramer

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